Deutschstunde mit Frau Schwarz – Für Rezensionen, die sich lohnen.

Frau Schwarz stellen wir uns bitte wie die Inkarnation von Fräulein Rottenmeier vor. 
Es quietscht schon an der Tafel, noch bevor sie überhaupt die Kreide in die Hand genommen hat. Strenger Dutt, weiße Bluse, schwarzer Rock – der Blick durch die Hornbrille ersetzt den Rohrstock. Wir befinden uns in einem miefigen Klassenzimmer, zu kleine Stühle und Tische, an denen man sich überall das Knie stößt. Frau Schwarz nimmt ihre ergonomisch artgerechte Haltung ein und los geht es mit Vollgas ab in die Nesseln!
Thema: Wie sag ich’s (m)einem Autor?
„Heute versaut sie sich also so richtig den Everybody’s-Darling-Status. Ob das eine Rezession bei ihren Buchverkäufen nach sich zieht?“
Wir werden sehen. Und wie ihr seht, sind wir schon mitten drin – kleine Klugscheißerei ganz am Anfang: Rezension kommt vom lateinischen Wort recensio, was so viel wie ‚Musterung‘ bedeutet. Rezession leitet sich dagegen vom ebenfalls – Überraschung! – lateinischen Wort recessio ab, das man mit ‚Rückgang‘ übersetzen kann. Aber wir wollen nicht abdriften.
Hefte raus und mitgeschrieben – ja, ihr dürft auch gern Copy & Paste machen oder teilen. Am Ende der Stunde! Wer hat sein Buch vergessen? Alle? Fein. Denn was jetzt kommt ist allgemeingültig. Bei Fragen bitte erst melden und sie dann stellen, wenn Frau Schwarz dazu auffordert. Danke.
Da steht nun also ein Buch zur Musterung an. Wie früher bei der Bundeswehr wird es daher auf Herz und Nieren geprüft, nur ist hier Stufe 5 erstrebenswert. Beim Bund wurde man damit sofort ausgemustert, in der Buchwelt wünscht man sich die fünf Sterne herbei, es können aber auch Eulen, Herzen, Einhörner, Katzen und Badewannenstöpsel sein. Diesen Wunsch hegen übrigens Autoren wie Leser gleichermaßen – wobei so ein richtig gut geschriebener Verriss manchmal unterhaltsamer als das eigentliche Buch ist.
„Schmerzen Verrisse den Autor immer?“
Unterschiedlich. Es gibt welche, über die lacht man. Schüttelt mit dem Kopf oder denkt sich seinen Teil. Andere sind ärgerlich, weil sie nur wenig Aussagekraft haben. Manche treffen einen aber echt ins Herz. Weil sie missgünstig sind. Unfair. Spoilern.
„Oh, Frau Schwarz hat das böse Wort gesagt. Spoiler.“
Ja. Hat sie. Wir denken dabei aber nicht an die Heckflosse des Autos, sondern an die fiesen Verräter. Die Sätze, die das Geheimnis offenbaren. Den Mörder. Den Plotturn ankündigen, das Highlight verraten. Als Autor arbeitet man Wochen, Monate, Jahre an einem Buch, investiert Zeit und Geld, will dem Leser das optimale Kopfkino bereiten. Baut Spannung auf. Spielt mit dem Tempo. Baut Schikanen ein. Und dann fährt irgendeine Schnarchnase mit 60 km/h auf der linken Spur und zieht ein Banner hinter sich her „Nacherzählung“.
Die Nacherzählung haben wir alle in der Grundschule geübt. Wir geben eine Geschichte wieder wie sie geschehen ist. Das jedoch ist nicht Sinn und Zweck der Rezension. Genauso wenig die reine Inhaltsangabe, die die Ereignisse zusammenfasst und ebenfalls das Ende verrät. Die Rezension im wissenschaftlichen Sinne – Achtung, es wird wieder lehrreich – ist Beschreibung, Analyse und Bewertung.
„Ich will aber gar nicht wissenschaftlich rezensieren. Das soll doch Spaß machen!“
Gut. Dann schlaf halt noch fünf Absätze. Aber jammer bloß nicht, dass „es ja sooo schwer ist, eine Rezi zu schreiben“. Wir könnten uns da jetzt einmal gemeinsam durchkämpfen. Hm?
„Na gut.“
Okay, starten wir mit der Beschreibung.
„Shit. Beschreibung?“
Ja, kann man durch straffe Inhaltsangabe mit Auslassung bzw. Spoilerwarnung vor Erwähnung des Endes hinbekommen.
„Wobei, reicht das? Eine Beschreibung fragt nach dem ‚wie‘, also muss auch was zum Stil rein? O Mann, ich lasse es lieber.“
Nein, bitte nicht. Denn jede Rezension zählt. Für den Autor, den Verlag. Auf der anderen Seite aber auch für den eigenen Blog, die Buchbesprechungsgruppe, Seiten wie Lovelybooks und – nicht zu vergessen – die eigene Erfahrung und den eigenen Stil. Die Beschreibung schildert (übrigens im Präsens) den Handlungsverlauf. Nicht mehr, nicht weniger. Dabei orientiert man sich an den wichtigsten Stationen der Handlung, so dass man sie in wenigen Sätzen, ohne Zitate oder Wertung, zusammenfassen kann. Wer mag, darf natürlich auch gern etwas zum Cover sagen.
„Ah. Na gut. Aber Analyse? Hab ich nicht gelernt.“ Wahlweise kommt hier auch als Einwurf: „Konnte ich noch nie besonders gut.“
Kein Grund, es nicht dennoch zu versuchen. Für einen Liebesroman muss man keine Sekundärliteratur anschaffen, um eine kleine Analyse abzugeben. Es reicht, auf formale, sprachliche und inhaltliche Aspekte einzugehen.
„Hä?“
Okay, etwas genauer. Zu „formal“ zählen Erzählzeit, Perspektive, Standpunkt des Erzählers, Gestaltung des Textes. Unter „sprachlich“ werden Punkte aufgeführt, die Aufschluss über Satzbau und Wortwahl geben, ggf. rhetorische Mittel und Besonderheiten (viele Fremdworte, Fachjargon etc.). Die „inhaltlichen“ Aspekte beziehen sich auf den Ablauf der Handlung, etwaige Sprünge, Plotholes, den roten Faden. Gibt es einen Rahmen oder ein Thema, das wiederkehrt? Hier werden im Übrigen auch die Personen charakterisiert und ihr Bezug zueinander dargestellt.
„Uff!“
Nee, ist gar nicht so schwer. Mit ein bisschen Übung geht das in ein paar Sätzen – man muss nicht den Begleitroman zum Roman schreiben. Wichtig ist hier allerdings, dass noch keine Wertung vorgenommen wird.
„Warum?“
Weil diese erst zum Schluss kommt.
„Bewertung? Das kann ich! Ist das nicht eigentlich das, was man schreiben soll?“
Ja. Die Frage ist nur, wie man zu einer abschließenden Beurteilung kommt, wenn man sich nicht kritisch mit dem Werk auseinandergesetzt hat?
„Pffft. Noch mehr so wissenschaftlicher Scheiß?“
Neee, so schlimm ist das wirklich nicht. Im Endeffekt fasst man hier zusammen, für welche Zielgruppe dieses Buch interessant ist, ob dem Autor seine Darstellung gelungen ist und welches Fazit man aus der Lektüre zieht. Kann man in einem Satz schaffen.
„War’s das jetzt endlich?“
Wissenschaftlich sind wir tatsächlich durch an dieser Stelle. Und ihr fragt euch wahrscheinlich: „Ey, meint die das jetzt echt ernst? Kein Wunder, dass kein Mensch Bock hat, sich damit auseinanderzusetzen.“
Nein. Ganz so ernst meint Frau Schwarz es, wie meistens, nicht. Denn sie selbst ist die unberechenbarste Rezensentin überhaupt. Mal reichen ihr drei Sätze, um ihre Begeisterung auszudrücken und dann will sie auch nicht mehr oder weniger zum Buch sagen, weil jeder Leser nach ihr ebenfalls das wundervolle Glück des Entdeckens erfahren soll. In anderen Fällen braucht sie fast so viele Worte wie der Autor selbst, um die Lektüre schmackhaft zu machen. Manchmal findet sie ein Buch aber einfach nur so scheiße, dass sie sich lieber die Zeit nimmt, sich die Haare zu raufen, als sie auf den Köpfen anderer zu spalten.
„Und worauf will sie jetzt hinaus?“
Liebe Leser – es ist egal, wie viel ihr schreibt. Ob es wissenschaftlich oder emotional ist. Solange ihr fair bleibt (zur Not nochmal hochscrollen und nachlesen). Schreibt, was ihr wollt.
Nur bitte, bitte, bitte: Schreibt eine Rezension zu den Büchern, die ihr gelesen habt. Lasst uns Autoren wissen, ob ihr mehr davon wollt. Über wen oder was ihr euch geärgert habt. Wer euch glücklich gemacht hat. Nur so wissen wir, ob es Sinn macht, sich jeden Tag wieder an den PC zu setzen und die Geschichten, die unser Kopfkino uns diktiert aufzuschreiben. Nur so erfahren andere, dass es sie gibt.

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