Braucht die jemand oder können die mich mal? Warum mir Schreibratgeber – in puncto Stil – so unsäglich megatierisch auf den nicht-vorhandenen Sack, statt am Arsch vorbeigehen. Und warum ich bei dem Thema stillos werde ...
Ratgeber. Das kann ein Mensch oder ein Buch sein. In bester Absicht gibt er Tipps und verrät Tricks, wie man besser schreibt. Es geht selten um die Ergonomie am Arbeitsplatz, eher um die Monotonie und Kakophonie im Text. So weit so gut gemeint. Was regt mich daran so auf? Und vor allem: Warum lese ich sie trotzdem? Der Reihe nach … Ihr kommt dann wahrscheinlich selbst drauf.
Ein Schreibratgeber wirkt aus der Distanz, er sitzt nicht neben mir und berät mich aktiv. Das macht es ihm schwer, an mich heranzukommen. Er steht nicht in persona vor mir und ich sehe und höre ihn, kann Fragen stellen und interagieren. Er ist ein Gleis, auf dem der Zug nur in eine Richtung fährt. Gerade diese Distanz ist einerseits wichtig, denn sie ist die Voraussetzung, dass man sich auch dem eigenen Text so nähert, ihn als Fremder betrachtet und prüft, wie er wirkt. Darin liegt aber auch die Krux: Das geht nur bis zu einem gewissen Grad, da man als Urheber automatisch zwischen den Zeilen liest. Wer also meint, der Erfolg sei garantiert, wenn man sich nur an die „Checkliste“ hielte, irrt. Warum man dennoch mal davon gehört haben und sich nicht konsequent verweigern sollte, liegt auf der Hand.
Sich nicht verbessern zu wollen, ist Teil von Stillstand. Als ewig Getriebene und Zielorientierte liegt es in meiner Natur, was ich tue entweder ganz oder gar nicht zu machen. Halbherzig kann ich nicht an eine Sache herangehen. Hinzu kommt, dass ich den Wettbewerb suche – beste Voraussetzungen also. Lesen, was andere schreiben, das Können erkennen und davon etwas mitnehmen. (Ich möchte an dieser Stelle keine Plagiatsdiskussion entflammen; es geht mir um Stilbildung, nicht Diebstahl.)
Bevor ich auf die Inhalte eingehe, eine kurze Frage am Rande: Wer schreibt eigentlich diese Ratgeber?
Die wenigsten stammen aus der Feder echter Bestseller-Autoren, die es weltweit zu Anerkennung und Beachtung geschafft haben. Einerseits verdächtig, sagt man ja unter anderem nahezu jedem Lektor nach, ein verkappter, gescheiterter Autor zu sein. Was ich übrigens nicht schlimm finde, wenn er ein guter Lektor ist. Andererseits sind gerade diese Ratgeber wiederum Bestseller – noch verdächtiger. Warum?
Verraten sie darin die Formel, wie man sein Buch zu einer Millionenauflage (im gesellschaftlichen Konsens mit Erfolg gleichzusetzen) bringt? Natürlich nicht. Weil sie es nicht können und vermutlich auch nicht wollen würden, wenn es diese Formel überhaupt gäbe. Die Tipps beruhen auf (zugegeben: fundierten) Beobachtungen, Erfahrung und dem eigenen Geschmack.
Das Gros sind mehr oder weniger namhafte Autoren, die allesamt das Rad nicht neu erfinden, allerhöchstens Trends in Revision nehmen und samt und sonders das wiederkäuen, was sie selbst gelesen haben. Bei den „Großen“. Der Ton dieser Ratgeber ist recht unterschiedlich, für jeden Geschmack ist was dabei. Belehrend. Motivierend. Witzig. Dogmatisch. Wem mag man da vertrauen? Dem erfolgreichen (huch, das ist sie direkt wieder, die Frage: Was ist Erfolg?) Selfpublisher? Dem Sachbuchautor aus renommiertem Verlag? (Was bedeutet schon Renommee?)
Ein Blick auf ihre sonstigen Werke, die Bücher, in denen ihre eigenen Empfehlungen zur Anwendung gekommen sein müssten, ernüchtert vielmals. Erhellt. Wirft die Frage auf: Will ich auch so schreiben? Finde ich das gut? Ist das besser als das, was ich zu Papier bringe? Quo vadis?
Zum einen geben diverse Rezensionen der eigentlichen Werke Aufschluss darüber, wie es um die Akzeptanz des „besser Geschriebenen“ steht. Im Vergleich dazu ist die Ratgeberliteratur des gleichen Autors oftmals unterhaltsamer. Und wird besser rezipiert. Irgendwie seltsam, oder? Mal unter uns: Ist es nicht ein bisschen so, als verkaufte uns da jemand die vermeintlichen Geheimrezepturen von Coca Cola, Oreo-Keksen und der McRib-Sauce, aber produziert selber eher Mineralwasser, Shortbread und Ketchup?
Aktive Autoren verfassen also Schreibratgeber. Aus welchem Grund? Warum wollen sie andere an ihrem Wissen partizipieren lassen? Geht es ihnen um das Tradieren? Welche Rolle spielt das eigene Erheben über die Leser? Von dem man sich ja in den Erzählungen distanzieren will? Ist das das Ventil für den Eingriff, den man sich sonst so mühevoll versagt? Müssen Autoren erzogen werden, weil man Lesern die Mündigkeit abspricht, trotz wertender Elemente und gebrochener Stil-Regeln eine Handlung im Kopf selbst zu inszenieren?
Das Streben sich zu verbessern wohnt ja nicht nur mir inne. Und nur den wenigsten Autoren sind Rezeption und Verkaufszahlen egal. Also schielen viele auf Möglichkeiten, ihre Werke zu optimieren. Großartig! Ob das dann aber mit standardisierten, ja beinahe schon zum Einheitsbrei stilisierten, Tipps funktioniert? Die Verkaufszahlen dieser Ratgeber sind ungebrochen und ja, hier spricht auch ein bisschen der Neid auf den Absatz.
By the way: Es heißt ja so schön, guter Rat ist teuer. Und was nix kostet, ist auch nix. Dementsprechend lassen sich die Profis ihre Tipps vergolden. Obwohl es dieselben sind (und ebenso widersprüchlich) wie die, die man gratis auf manchen Blogs abgreifen kann. Vielleicht sollte ich aus dem Lesen solcher Ratgeber mal Profit schlagen. Mir entfährt dabei nämlich so oft ein Stöhnen, dass man mit Aufnahmen davon einen Pornofilm synchronisieren könnte. (Die übliche Dosis „Ficken“ sei hiermit verabreicht. Soll ich ja benutzen, um Reichweite zu erlangen, sagte man mir.) Bestes Augentraining für mich inklusive, so oft wie ich mit ihnen rolle oder blinzeln muss. Vermutlich klinge ich aber doch zu genervt dabei … wobei das wiederum sehr authentisch wäre für … lassen wir das. Aber das bringt mich auf einen weiteren Aspekt. Bildhaftigkeit.
Wie viel darf ich vorgeben? Wie viel möchte der Leser vorgegeben haben? Und: Wer ist überhaupt DER Leser? Schreibe ich noch für mich? Will ich das selber noch lesen? Schreibe ich für die Anerkennung eines wohlmeinenden Lektors oder doch noch für diejenigen, die ich mit dem Buch erreichen will?
Show don’t tell – Das Schreibmuss™. Muss das? Ich will lesen, mitdenken und mir ein Bild machen und nicht die Krokodilstränen vorgetanzt bekommen, am besten in epischer Breite vom Rausquetschen aus der Tränendrüse bis zum Verdunsten auf der heißen Wange. Ach nee, heiß darf ich ja nicht schreiben. Ist überflüssig, weil sie ja sonst nicht verdunsten könnte. Meint man.
Die Dosis macht das Gift. Steht auch in jedem Ratgeber. Kann man sich aber auch so denken. Geholfen ist mit dieser Aussage übrigens auch niemandem, denn was bei Leser A höchst anregend wirkt, ist bei Leser B schon letal. Und eine Formel für das statistische Mittel fehlt an dieser Stelle. Die würde dem Schreibanfänger eventuell helfen. Der Fortgeschrittene hat es vermutlich durch Übung und Feedback schon in den Schreibprozess implementiert. Wir drehen uns aber hier das erste Mal im Kreis; man muss ja die Schlaglöcher kennen, um sie zu umfahren. Oder eben mit voller Wucht mitnehmen zu können, damit man sich im Anschluss neue Felgen kaufen kann.
Ein weiterer meiner Lieblingsaufreger: Bei einem Dialog muss man die erklärenden Sätze weglassen und ihn dennoch verstehen können. Am besten, man lässt sie weg. Ürks. Entweder muss ich also viel Show machen und schreiben, wie die Reaktion aussieht oder ich muss es im gesprochenen Wort implementieren. Stelle ich so sicher, dass es dann richtig ankommt beim Leser? Habe ich einen Anspruch darauf, so verstanden zu werden wie ich es meine? Immerhin obliegt dem Leser die Interpretationsfreiheit. Was ist so verwerflich daran zu schreiben, dass sie ihn traurig ansah? Schon klar, die Dosis und das Gift und das Körpergewicht von Leser A am 32. Dezember bei abnehmendem Mond.
Immer wieder steht man als Autor also vor der Frage: Was will ich für mein Buch? Irgendwas zwischen totlektoriert und seelenlos versus schwülstig und bevormundend.
„Du erhebst dich über deinen Text und bevormundest deine Leser, wenn du das alles/zu viel erklärst. Der soll sich selber denken, wie sie ihn angeschaut hat oder wie seine Wut aussieht.“ Hach ja. Immer soll der Leser sich alles selber denken. Und immer werden dafür Beispiele angeführt, die alles schlecht machen, was situativ funktioniert.
Mir schrieb eine Leserin, dass sie froh ist, wenn nicht nur aus dem Gesagten hervorgeht, wie die Stelle gemeint ist, sondern auch die Lesart präzisiert ist. Sei es durch Auslassungszeichen, durch Hervorhebung im Schriftbild oder eben durch, wie sie es nannte, Regieanweisungen.
Im Gespräch mit vielen anderen Lesern habe ich ähnliche Rückmeldungen bekommen. Natürlich liegt die Evidenz hier in einer recht homogenen Gruppe, aber sie lässt bei mir die Frage aufkommen: Haben diese Schreibratgeber tatsächlich Leser gefragt oder nur Germanisten?
Ein Beispiel gefällig?
„Verdammt, das darf doch nicht wahr sein!“ Er knallte die Faust auf den Tisch.
Ähm. Genau. Das darf nicht wahr sein. Zumindest nicht, wenn dieser Satz das Nonplusultra sein soll, um die Wut des Sprechers zu zeigen. Aus Sicht des Bestsellertipps sprachlich gelungen und mit dem Prädikat „barrierefrei“ ausgestattet, liegt hier eine Szene vor mir, die bei mir keine besonderen Bilder weckt. Weil die wenigen, zusammengestrichenen Worte es nicht schaffen, mich zu fesseln. Der Kraftausdruck soll helfen, die Wut einzuleiten, die Verneinung soll sie bestärken. Die Tat, der Faustschlag, soll das Ganze abrunden. Im Ernst? Im Ernst. Und nur so, bitte. Einfache Sprache. Kurze Sätze. Welterfolg.
Wütend schlug er die Faust auf den Tisch und schrie: „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ – Dieser Satz hat keine Chance, ernstgenommen zu werden, folgt man den Darstellungen der Schreibratgeber. Zum einen, weil die Handlung und das gesprochene Wort einer Gleichzeitigkeit unterliegen, die verpönt ist. Durch das „wütend“ wertet der Autor das Geschehen bzw. nimmt dem Leser vorweg: Oh, Faust auf Tisch, da ist jemand sauer. Nur: Was zur Hölle ist so schlimm daran? Einen Keks für denjenigen, der das nachvollziehbar erläutert. Wie sich der Leser das Wüten vorstellt, das Scheppern der Faust, die hektischen roten Flecken im Gesicht, die Schweißperlen – das bleibt ihm in beiden Sätzen selbst überlassen. Und selbst wenn der Autor auch das vorgibt, dann hat er wohl seinen Grund, oder? Dann steht da tatsächlich ein Bär von einem Mann. Schnaubend donnerte er mit aller Wucht die Faust auf den Tisch, dass das Geschirr nur so klirrte. Aus seinem hektischen, roten Gesicht tropfte ihm der Schweiß und er brüllte martialisch: „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“
Ihr seht, was ich meine. Selbstredend macht eine solche Darstellung nicht in jedem Satz, auch nicht in jedem Absatz, Sinn. Doch wenn es ein entsprechender Auftritt sein soll, dann darf er sich gern so lesen, wie er vor dem geistigen Auge des Autors stattgefunden hat. Dem Leser stehen noch so viele Interpretationsmöglichkeiten zur Verfügung. Ist die Hand des Wütenden vielleicht ganz weiß, vor lauter Kraftaufwand? Fallen ihm Haare ins Gesicht und bleiben im Schweiß an der Stirn kleben? Beißt sich seine Hautfarbe mit seinem Hemd? Schwingt seine Krawatte über die Schulter?
Ach ja … Was ich beinahe vergaß … Das oben angeführte Beispiel hat einen entscheidenden Makel. Die Erzählperspektive ist auktorial. Heutzutage gilt das als obsolet, verpönt, ungern gelesen. Zumindest, wenn man – ihr ahnt es – Schreibratgebern glauben darf. Der auktoriale Erzähler birgt tatsächlich Risiken, durch seine Allwissenheit kann es dazu kommen, dass er zu viel wertet, vorwegnimmt oder plaudert (was man gelegentlich als Info-Dump bezeichnet). Auch hier wieder die Anschuldigung, das sei trivial, raube dem Leser Raum für Phantasie. Hm. Wenn er sie sich rauben lässt …
Oder anders gefragt: Wie regt man die Phantasie an?
Ein Roman ist kein Stegreif-Theater, bei dem man dem Leser nur Bröckchen, Stichworte hinschmeißen muss, um ihn zu unterhalten. Verzeiht die Verallgemeinerung, es gibt natürlich auch Leser, die diese Schreibart bevorzugen. Ich beziehe mich aber hier hauptsächlich auf das Metier, in dem ich selbst agiere. Belletristik. Heißt in der wörtlichen Übersetzung „schöne Literatur“. Bäm. Schön. Schönheit lässt sich genauso einfach definieren und an Benchmarks festmachen wie Erfolg. Bei dem, was schön ist, sind sich aber fast alle Schreibratgeber einig. Innovation, Progressivität, Emotion, persönliches Empfinden – Fehlanzeige. Da werden funktionierende Konstellationen zur Unsitte erklärt, nur weil man „das nicht so schreiben kann“ oder dem Lektor „dabei das Blut in den Adern gefriert“.
„Das will doch niemand lesen. Sonst wäre das längst ein Bestseller.“ Auch so ein Wort, das in diesem Text schon häufiger verwendet wurde. Aber wann ist ein Buch überhaupt ein Bestseller? Bei Sachbüchern oder Dramen ist man im höheren dreistelligen Bereich der Verkaufszahlen schon dabei. Bei Einhorn-Elfen-Vampir-BDSM-Romanen muss man wahrscheinlich auch nicht so viele Exemplare verkauft haben, um in dieser Nische als Beststeller-Autor zu gelten. Schwieriger wird es bei klassischer High Fantasy. Von Liebesromanen will ich lieber nicht reden; ihr kennt die Zahlen. Worauf ich hinauswill, abgesehen davon, dass wieder mal alles relativ ist? Eine goldene Weisheit von Omma: Qualität setzt sich durch. Heute wie gestern. Aber da es keine DIN für gute Bücher gibt, kein verbindliches Geschmacksregelwerk, im Gegenzug dazu aber hunderttausende Neuerscheinungen jährlich, dauert sowas. Es dauert, bis sich Andersartigkeit in den Normalzustand verwandelt. Ja, wir finden heute die Sauerkrautfrisuren aus den 80ern und die Ballonseidenanzüge der 90er gruselig. Ob Isolde Kurz‘ Bücher heute noch so erscheinen würden wie zu ihrer Zeit oder ob man damals schon Twilight hätte veröffentlichen können? Ungewiss. Eins ist jedoch klar: Die Bücher, die wir heute als Klassiker bezeichnen, waren stilbildend für ihre Epoche. Aber ohne den Mut, die Innovation der Autoren, etwas anderes zu wagen, etwas anders zu machen als alle anderen, wo stünden wir?
Versteht mich richtig, ich maße mir nicht an, zu behaupten, ich hätte das Rad neu erfunden oder meine Bücher würden den Buchmarkt revolutionieren. Auch Weltruhm und Literaturpreise rechne ich mir nicht selbst zu. Ich lasse nur meinen kritischen Blick auf die schweifen, die sich vermeintliche Weisheiten vergolden lassen, welche im Kerngedanken noch nicht einmal dem eigenen Hirnschmalz entstammen.
Ich möchte an dieser Stelle eine wundervolle Idee aufgreifen, die der Autor Daniel Bleckmann vor einer Weile hatte und der er einen Facebookpost gewidmet hat:
„Im Zuge des momentanen Abiturs habe ich heute mal einen Auszug aus Kafkas "Die Verwandlung" durch die Papyrus Stil-Analyse gejagt. Ergebnis: zu lange Sätze, Passiv-Konstruktionen, viele Adjektive und Wortwiederholungen sowie Füllwörter. Wie hat der Mann es geschafft, damit veröffentlicht zu werden?“
Sacken lassen. Danke.
Natürlich steckt hinter der Stilanalyse von Papyrus ein Algorithmus, der ein bisschen was von Bestsellerformel hat. Oder nennen wir es besser „Goodseller“. Auch der von mir sehr verehrte Thomas Mann würde bei Papyrus schlecht wegkommen. Was einerseits am Zeitgeschmack liegt, andererseits aber auch an der oben bereits erwähnten Einstellung gegenüber dem Text. Wir lieben diese Geschichten dennoch. Oder zumindest liebt sie der Deutschunterricht. Was aber wird dort in fünfzig Jahren gelesen werden? Viele kommerziell erfolgreiche Geschichten haben übrigens nach wie vor einen hohen narrativen Anteil, setzen das bewusst ein. Also: Alles cool. Und wer abseits ausgetretener Pfade wandelt, entdeckt neue Welten. Oder zerstört den Urwald.
Und dann doch immer diese Unruhe. Sind meine eigenen Texte schlecht? Welche dieser vermeintlichen Fehler begehe ich selbst? Muss ich das ändern? Will ich das? Gretchenfrage: Wollen meine Leser das?
Es gibt Antworten auf diese Fragen. Ob meine Texte schlecht sind, liegt im Auge des Betrachters. Es gibt für jedes Buch Leser. Mit massenkompatibilisierten Texten, erreicht man die Masse.
Wer die Regeln kennt, kann und darf sie brechen – das nennt man dann zur Rechtfertigung stilistisches Mittel. Oder eben: Scheiß drauf.
Fragen wir doch mal die Leser. Alle. Alle Menschen, die lesen können und irgendwann mal einen Text zur Hand genommen haben. Was wollt ihr? Was stört euch? Was bringt euch dazu, ein Buch abzubrechen?
In meinen Texten knüpft an direkte Rede oft ein Nachsatz an, der durch ein Verb eingeleitet wird, das nicht „sprach“, „sagte“, „meinte“, „fragte“ oder ähnlich ist. Da passiert schon mal ein Satz wie dieser hier:
„Mhm ...“, nickte sie und schmiegte ihr Gesicht an seines.
Davon kriegen die einen Magengrimmen und legen das Buch weg, die anderen sehen eine Frau vor sich, die „Mhm“ sagt, nickt und dann ihr Gesicht an das des anderen schmiegt. Punkt.
Als Inquit-Formel fast ausschließlich „sagte er/sie/es/Name“ gelten zu lassen, weil man das Wort „sagte“ so gut überlesen kann, gilt gemeinhin als eins der höheren Gebote des Lektorats. Wer sich dem widersetzt gilt als dumm, naiv kreativ oder unlesbar. Dass es viele Autoren sogar besser wissen und bewusst wider dieses Wissen handeln, weil es ihre Leser gern so lesen, wird dabei völlig unter den Tisch gekehrt. Man mag mir also Dummheit und schlechtes Deutsch unterstellen, solange meine Leser davon keinen Knoten im Hirn bekommen und sich die Szene vorstellen können, werde ich diese Art und Weise zu schreiben nicht ändern. Mögen andere das anprangern oder verhöhnen – wem es gefällt, der möge es lesen, wer seinen Intellekt dadurch beleidigt meint, mag gern zu anderer Lektüre greifen.
Apropos „schlechtes Deutsch“. Bevor ich es vergesse … Diese Phrase liest man häufig in den Schreibtipps. Wir wissen, was gemeint ist, und dennoch ist genau diese Bezeichnung falsch. Deutsch als Sprache kann nicht schlecht sein, weder verdorben noch vom Grundsatz her. (Ich stelle mir gerade allenfalls einen schimmligen Duden vor …) Schlecht gebraucht, angewandt. Schlecht formuliert. Das trifft zu. Aber per se schlecht?
Gekünstelte Sätze, nur um ein Subjekt oder einen Artikel am Satzanfang zu vermeiden? Was ist noch originell? Ab wann fängt es an, einfach nur noch zu nerven?
Füllwörter. Ich liebe Füllwörter. Wenn sie die Wirkung von Spachtelmasse habe und einen Satz auffüllen, glätten, verschönern. Denn füllen kann man nur Lücken, oder? Ihr versteht sicherlich, worauf ich hinaus will. Ein Autor, der selbstkritisch seine Werke betrachtet, das Geschriebene ein Weilchen ruhen lässt und dann noch einmal reflektiert, bevor er es in andere Hände gibt, hat seinen Text schon bereinigt. Um Stolperfallen, also unsinnige Füllungen, die quasi einen Hubbel im Satz hervorrufen, Stellen, an die tatsächlich kein Wort gehört. Und wo dennoch ein „ziemlich“, ein „eigentlich“, ein „viel“ steht, da gehört es dann wohl auch hin.
Es heißt in den Ratgebern: Es braucht diese Worte nicht. Es braucht auch keine vorgewaschenen und in Tüten verpackte Salate. Dennoch greifen viele Kunden dazu. Convenience-Food. Warum nicht auch Convenience-Books? Wem’s schmeckt …
Aber zurück zum Füllwort. Warum ist es so verpönt? Schreibratgeber sagen: Wenn du es entbehren kannst, lass es weg. Können kann man. Den Satz versteht man auch so. Aber was wird dann aus: „Er hatte eine ziemlich große Nase und war eigentlich nicht besonders ansehnlich.“, wenn wir ziemlich und eigentlich weglassen? Dann hatte er eine große Nase. Hm. Denken wir uns einen Menschen mit einer großen Nase. Sie fällt auf. Dominiert das Gesicht, sorgt für ein prominentes Profil. Wenn diese Nase aber nur ziemlich groß ist, dann ist es etwas, das man evt. nur auf den zweiten Blick erkennt. Wenn man sich näher mit der Person beschäftigt. Ebenso verhält es sich mit dem „eigentlich nicht ansehnlich“. Warum wird hier relativiert? Es sagt etwas über den Geschmack des Betrachters aus, gibt ihm Tiefe. Er macht sich die Mühe, diesen Menschen mit anderen zu vergleichen und findet Attribute, die das Hässliche in den Hintergrund treten lassen und eine differenziertere Meinung zum Vorschein bringen.
Kann man das dann nicht anders formulieren? Ohne Weichspüler und treffender?
Kann man. Aber es sind die Worte, mit denen die handelnde Person denkt, fühlt, spricht. Sie charakterisieren sie. Ein Arzt würde das wohl anders formulieren als ein Tauchlehrer.
„Ausgeprägter Dorsum nasi bei asymmetrischen Nares, gesamte Physiognomie bietet Optimierungspotential.“
„Die Tauchmaske passte gerade noch über seine Nase, beim Anzug wurde es aufgrund seiner unförmigen Statur und dem kurzen Hals schon schwieriger.“
Nicht jeder Charakter bietet sich für das vielgepriesene „Show don’t tell“ an. Der Blick des Tauchlehrers eher als der des Arztes. Im Beispielsatz ist es vielleicht eine Supermarktangestellte, die nach einem Kassenraub ihre Erinnerung bemüht. Oder eine Frau, die morgens nach dem Aufwachen feststellt, dass ihr One-Night-Stand mit zwei Promille doch verführerischer war als nüchtern. (Soll ich hier noch mal „ficken“ schreiben oder denkt ihr euch das selbst?)
Selbstredend ist dieses Beispiel aus dem nicht vorhandenen Kontext gerissen. Das machen aber leider Schreibratgeber in der Regel auch. Es werden Absätze seziert und Verbesserungsvorschläge an den Mann gebracht. Wer dann alles, was dort steht, für bare Münze nimmt, der macht aus einem guten Buch im schlechtesten Fall ein miserables.
Tiefe findet man zwar auch mal zwischen zwei Speckfalten, aber wenn es zu viel ist, wird es schwammig. Sehe ich ein. In Zeiten, in denen jedes gedruckte Wort zum teuren Gut wird, auf der anderen Seite aber eBooks nahezu unbegrenzte Möglichkeiten bieten und die Seitenzahlen gegen unendlich streben, stellt sich nicht nur die Frage, für wen man schreibt, sondern auch für welches Medium.
Was ist nun die Quintessenz zum Thema Schreibratgeber?
Für mich charakterisiert die Tatsache, dass es so viel Literatur in unterschiedlichster Form zu diesem Thema gibt, schon das Grundübel daran. Geschichten, und um die Entstehung dieser geht es ja letztendlich, sind (oh, Überraschung) Geschmacksache – jedes Buch hat seine Leser. Oder auch nicht. Was nicht zwangsläufig am Geschriebenen liegen muss, aber das ist eine andere Baustelle. Der Senf, der hier nicht nur zu Bratwürsten sondern auch Schnitzeln, Obst, Gemüse und Käse gegeben wird, führt nicht immer zu einer Optimierung, sondern auch gern mal zu Geschmacksirritationen und Ablehnung. Und bei mir zu Sodbrennen. Der Kauf- bzw. Leseanreiz für Schreibratgeber ist die eigene Verunsicherung; bei kreativen Menschen, zu denen Autoren zählen, weit verbreitet. Bin ich gut genug? Ist mein Werk spannend? Habe ich etwas Werthaltiges geschaffen? An dieser Stelle greift eben das „Versprechen“ dieser Ratgeber: „Lies mich und du wirst erhellt. Danach schreibst du besser!“ Oder so ähnlich. Perfide Werbelügen, die wir den Autoren (das muss man ihnen lassen, da sind sie gut!) abkaufen und axiomatisch dahingestellt sehen. Ich suche immer noch ein sich gut verkaufendes Buch, in dem die Danksagung an „Die Bestsellergarantie, der Schreibratgeber“ gerichtet ist – und nicht an Lektoren, Testleser, Unterstützer. Wird vermutlich nur aus Eitelkeit niemand getan haben. Sollte jemand einen berühmten Autor kennen, der durch einen Schreibratgeber erleuchtet wurde (den er nicht selbst verfasst hat), möge er bitte vortreten. Und lassen wir bitte die vielen positiven Rezensionen auf den Buchportalen dahingestellt; nur weil ich selbst der Meinung bin, mir und meinen Werken damit etwas Gutes getan zu haben, muss das noch lange nicht schöner sein. Oder gar massenkompatibler.
Worauf ich wirklich hinaus will?
Da Schreibratgeber nicht unaufgefordert mein Hirn infiltrieren und ich selektieren kann, ob, was und wie viel ich mir von ihnen annehme, dreht sich dieser Artikel scheinbar um sich selbst. Aber es gibt eine weitere Quelle, an der sich Verbesserungspotential abschöpfen lässt. Der Leser. Ob er nun zur Probe liest (da bitte dann aber jemanden fragen, der einem ehrliches und neutrales Feedback gibt) oder das bereits veröffentlichte Buch – er gibt zwar keine Tipps, da muss man den Hirnschmalz schon selbst bemühen, aber es ist individuell, auf die eigene Schreibe bezogen. In Rezensionen gehen glücklicherweise viele Leser darauf ein, wie ihnen die sprachliche Darstellung gefallen hat. Wer sich als Autor etwas davon annimmt, kommt seiner Zielgruppe wesentlich näher als durch das bloße, unreflektierte Befolgen von Ratgebern.
Was nehme ich also persönlich aus Schreibratgebern mit? Achtsamkeit. Man verfällt beim Schreiben in einen gewissen Duktus, der nicht unbedingt eigener Stil sein muss und im schlechtesten Fall zu Monotonie führt. Sie sind ein guter Anstoß, sich ab und an während des Schreibens und gerade beim Selbstlektorat vor Augen zu führen, was Unlesbarkeiten, Unnötigkeiten, Langweiler und Fehler sind. Sollte sich nun jemand in einen mäandernden Schachtelsatz verstrickt fühlen, hin und wieder gähnen oder „geballte Fäuste“ finden: Lo siento. Lo muy, muy siento. Ist so. Bleibt so.
Denn es gibt tatsächlich eine Regel, die ich sehr achte und sie lautet: Schreibe das, was du selbst gern lesen möchtest. (Ob es sich dann gut verkauft, ist eine andere Sache.)
PS: Wer sich fragt, was es mit dem Plotbunny im Titelbild auf sich hat ... Nichts. Sieht einfach nur niedlich aus. Ein Eye-Catcher. Hoffentlich.
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Story Teller (Montag, 22 Januar 2018 19:27)
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https://ylvaverlagblog.wordpress.com/category/tipps-fur-autoren/page/2/
Bin aber deiner Meinung. Alles völliger Blödsinn.
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Go on!
P.G. Connor (Donnerstag, 25 Januar 2018 22:44)
LoL. Und ein Amen von mir, liebe Kollegin. :-)
Valerie le Fiery (Mittwoch, 20 Juni 2018 14:19)
Perfekter kann man es nicht auf den Punkt bringen
☺️
Jessica Pietschmann (Sonntag, 12 August 2018 13:18)
Vielen Dank für diesen wunderbaren wahren Artikel!