02.04.2018, kurz vor elf am Abend, Heia-bubu-Zeit. Noch kurz Karma-Punkte Likes bei Social Media abholen
und dann Kontaktlinsen raus, Pipi machen, Hände – Moment. Gunnar Kaiser, mein
Haus- und Hofphilosoph, mit dem man so herrlich über Richard David Precht lästern kann und der so herrlich um sich selbst mäandert, hat eine ebenso knappe wie fiese Frage veröffentlicht:
„Befreit uns Kultur oder bedrückt sie uns?“
Autsch.
Mein Kommentar, als erste, spontane Reaktion: „Danke. Ich wollte gerade schlafen gehen … *grübel*“
Nach zwei Gläsern Merlot werde ich ja gern mal zur Hobbyphilosophin, wozu sollte man das auch studieren, die Weisheit der Welt liegt in der Reinheit des Weins … oder so ähnlich. War übrigens ein guter Tropfen. Einen dicken Schädel schließe ich für morgen mal aus. Los geht’s.
Wo war ich? Ach ja. Ich wollte ins Bett. Stattdessen bewegt mich die Frage dazu, diesen Blogartikel zu verfassen. Immerhin hatte ich sowieso eine Fortsetzung zu [LINK Currywurst] geplant und wollte mich mit dem Thema Literaturförderung befassen. Literatur ist schließlich geschriebene Kultur. Auf welcher Ebene, lasse ich hier erstmal offen. Da denke sich jeder seinen Teil oder lese diesen geistigen Erguss.
Was denkt und antwortet man als vermeintlicher Bildungsbürger da also?
Da kann man sich schließlich sehr schnell vergaloppieren, gerade in den illustren Runden, in denen sich ein Herr Kaiser bewegt. Deswegen findet die Nachlese auch hier statt, im resilienten Reservat.
Ich sollte mal auf den Punkt kommen, ich weiß.
Wie immer in philosophischen Betrachtungen, gibt es kein klares A oder B, Schwarz oder Weiß. Aber glücklicherweise sind wir hier weit entfernt von Fifty Shades of Gruppendynamik, so dass sich vielleicht doch eine Antwort finden lässt. (Merlot, ich brauche mehr Merlot!)
„Befreit uns Kultur oder bedrückt sie uns?“
Uns. Wer ist eigentlich UNS?
Ich bin ein Teil von wir, also uns. Ungeachtet der Größe von „wir“, bin ich ein messbarer prozentualer Anteil. (Der Nobelpreis für Mathematik ist mir sicher!) Und auch wenn es geil wäre, mal mit einer Meinung allein zu sein, etwas nur für mich zu haben, so werden sicherlich noch andere die Auffassung vertreten, dass Kultur für beides haftbar zu machen ist.
Ein bisschen was hat die Frage ja von „Unter Druck entstehen Diamanten“; sprich: Das Ergebnis des erlebten Bedrückens ist eine Befreiung.
Aber bedrückt uns jede Form von Kultur?
Auf diesem Blog steht seit Monaten ein Artikel zum Thema Anspruchs- und Unterhaltungsliteratur aus, dessen bereits geschriebener Teil sich mit der Frage auseinandersetzt, wie viel Unterhaltung im Anspruch stecken darf und umgekehrt. Der kommt auch noch. Beizeiten.
Nur darin steckt gewissermaßen auch die Krux der Ausgangsfrage (ja, ich mäandere gerade auch …). Geht das eine ohne das andere?
Was ist eigentlich Kultur?
Ha, ich weiß es. Gewissermaßen. Kultur ist alles Nicht-Natürliche, vom Menschen Gestaltete. Sie unterliegt dem Zeitgeist und dem Schaffen(swillen) ihrer Epoche.
So mag man nun Scripted-Reality-TV-Formate ebenso als Gegenstand unserer Kultur betrachten wie Arthouse-Kino, Kunstwerke von Banksy und Baselitz. Klassische Moderne wie Parametrismus. Joanne K. Rowling wie Gunnar Kaiser.
Ich empfinde alle Genannten als unterschiedlich befreiend, aus unterschiedlichsten Gründen. Da ich seit anderthalb Jahren keinen Fernseher mehr habe (besser gesagt: keinen Fernsehprogrammempfang), distanziere ich mich befreienderweise von Trash-TV, empfinde aber gleichermaßen die ein oder andere Leistung des Arthouse-Kinos als belastend. Ebenso geht es mir in der Literatur, mit architektonischen Werken, der Musik – allen kulturellen Zweigen. Ich liebe Thomas Manns Werke, genauso wie die von Bill Bryson. Mich schreckt Gropius ab, auch das Konzept der Gartenstadt. Mein Herz blüht auf in New York, London, Lohberg. Mit Zwölftonmusik verbinde ich – nichts. Rein gar nichts. Ebenso wenig mit Rap. Aber zwischen Beethoven und van Canto kann ich mich nicht entscheiden.
Worauf ich hinauswill?
Nur durch die Betrachtung des vermeintlich bzw. persönlich unter(st)en Levels der Kultur kann man die befreiende Wirkung dessen erleben, was in ihr steckt. Für die einen ist „Der Tresor“ im Skulpturenpark auf Schloss Moyland ein zusammengeschweißter Blechhaufen, rostig, skurril anzusehen. Für die anderen ist er der Inbegriff von Bewahrung und Öffnung, Bedrückung und Befreiung. Es gibt aber keine Verpflichtung, beim Anblick dieser Skulptur etwas zu fühlen oder zu assoziieren, es reicht, sie hinzunehmen. Eine Reflexion wäre schön, aber so weit muss man gar nicht gehen, um sich der Vielfalt von Kultur bewusst zu werden. Es kann schon befreiend sein, sie einfach Kultur sein zu lassen. Wenn wir sie um ihrer selbst willen akzeptieren, wird sie – meines Erachtens – immer ein erlösendes Element haben, da sie uns bewusst macht, wer wir sind, wodurch wir uns definieren. Bestenfalls erhöhen wir dadurch unsere Bewusstseinsebene. Wahrscheinlich versacken wir aber nur mit einer Tüte Chips und einer Flasche Wein auf der Couch und warten, was andere dazu sagen. Es lebe der Konsum.
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