Darf’s auch ein bisschen mehr sein? – Von ansprechender Unterhaltung und unterhaltendem Anspruch

 

 

Mit morbidem Charme und schwarzem Humor (welchem auch sonst) geht es heute auf einen Ausflug in die Pathologie des Buchmarkts zur Klärung der Kernfrage: Darf’s auch ein bisschen mehr sein? – Von ansprechender Unterhaltung und unterhaltendem Anspruch

 

Muss man für Tolkien geistlos sein? Darf man sich bei Grass amüsieren?

 

Frau Schwarz hat dieses leidige alte Thema vor einer Weile ausgegraben und schon mal etwas lüften lassen. Für euch. Damit es nicht ganz so sehr müffelt.

 

Kalt und grau liegt es nun auf dem Obduktionstisch, während Frau Schwarz sich fröhlich Latexhandschuhe überstreift und das Skalpell ansetzt (Latex? Überstreifen? Der Ficken-Artikel steht hier.) Ja, es riecht etwas modrig und sieht wirklich schon sehr abgefressen aus, aber vielleicht bekommen wir ja doch noch neue Erkenntnisse, woran das Thema mal irgendwann gestorben ist.

 

 

Wie soll das funktionieren?

 

Och, das wird schon. Wir nähern uns hier schließlich mit dem Auge einer belletristikschreibenden Autorin. Ihr anderes Auge ist übrigens das der Anspruchsleserin, was einen ziemlich schrägen Blickwinkel zur Folge hat. Sie schielt damit als erstes auf die Qualitätspyramide“, welche die drei Kategorien Dichtung/Hochliteratur, Unterhaltungsliteratur und Trivialliteratur nennt. Ach herrje. Da kommen wir direkt vom Hölzken aufs Stöcksken, die T-Literatur hatte Frau Schwarz gar nicht auf dem Radar. Aber wo wir schon mal hier sind … Der Reihe nach. Wer kein Blut sehen kann, möge jetzt bitte woanders weiterlesen, die Hartgesottenen wenden sich mit Frau Schwarz nun gern wieder Frankensteins Monster zu.

 

Stellen wir uns ganz dumm, was ist U-Literatur?

 

Unterhaltungsliteratur sind nach Google-Definition Romane und Erzählungen, die unterhaltsam sind [muahahahahahaa], aber nicht in erster Linie hohen künstlerischen Anspruch haben.

 

Jetzt sind wir schlauer. Oder? Was ist denn „hoher künstlerischer Anspruch“? Oh, wird nicht erklärt. Blöd. Dead end. Wenn ihr lieb seid, dröselt Frau Schwarz das aber noch auf … wenn nicht, stirbt ein Einhorn *glitzerstreu*.

 

 

Ihr seid lieb? Na gut. Vielleicht hilft uns Die Zeit weiter, also die Zeitung, nicht die Vergänglichkeit. Gut, das verlinkte Geschreibsel ist fast sechzig Jahre alt, aber im Land der Dichter und Denker wird sowas ja bestens archiviert und beizeiten als eine der Ur-Weisheiten zum Thema zitiert.

 

 

„‚Unterhaltungsliteratur‘ ist […] ein soziologisches Phänomen, das ästhetische Bedeutung meistens nicht hat – und wo es sie hätte, wäre das für den ‚Unterhaltungs-Wert‘ unwichtig.“

 

 

Bäm. Da hat er aber einen rausgehauen, der Kurt Marek. Was der Mann damit sagen will: Hochliteratur ist Kunst, die eine gewisse Ästhetik mit sich bringt. Und selbst wenn diese in Unterhaltungsliteratur vorhanden ist, ist sie wohl eher zufällig und außerdem nicht maßgebend für den Unterhaltungswert.

 

Alter Schwede, wie schön man mit Geschwafel dissen kann. Doof nur, wenn man den Begriff Ästhetik jetzt nicht ganz so korrekt verwendet Aber halten wir ihm zu Gute, dass er Wikipedia dazu nicht befragen konnte, dort heißt es nämlich so simpel wie treffend: Alltagssprachlich wird der Ausdruck ästhetisch heute meist als Synonym für schön, geschmackvoll oder ansprechend verwendet. In der Wissenschaft bezeichnet der Begriff die gesamte Palette von Eigenschaften, die darüber entscheiden, wie Menschen wahrgenommene Gegenstände bewerten.

 

 

Yeah. „Wie Menschen wahrgenommene Gegenstände bewerten.“ Das lässt sich nur schwerlich auf Mareks Satz anwenden. „Schön, geschmackvoll, ansprechend.“ Schönheit liegt, einer Redensart nach, im Auge des Betrachters.

 

Sollte das also alles etwa reine Geschmackssache sein? Was ist demnach ansprechend? Darf Herr Marek mir vorschreiben, wann etwas als schön zu erachten ist? Vielleicht dann, wenn ich den Satz dreimal lesen muss, um ihn im Kern und seiner Deutung zu verstehen?

 

 

 

„Die Scharen jener Schriftsteller, die die unterste Stufe der gesellschaftlichen und literarischen Pyramide miteinander verbinden, sind nicht als Individuum interessant. Ihre Arbeiten sind austauschbar ...“, heißt es aus seinem Munde ebenfalls zur U-Literatur (Trivialliteratur wurde erst fünf Jahre später als unterste Schublade – pardon – Begriff für die unterste Stufe der Literatur eingeführt.) Kurz: Alles dieselbe Grütze nur anders gefärbt, daher in Gänze uninteressant, sowohl Bücher als auch Autoren.

 

 

 

Mit dieser Meinung vom hohen Ross herunter nähern wir uns aber so langsam dem, was Anspruchsliteratur ausmacht. Der Zeit-Artikel bemüht dazu übrigens ein Horaz-Zitat: Entweder belehren oder unterhalten sollen die Dichter.

 

 

Uff. Belehren. Im Anspruch findet sich wohl definitiv keine Unterhaltung. Also nur, wenn ich durch das Buch schlauer werde und nicht unterhalten wurde, hat es Chancen, Anspruchsliteratur zu sein.

 

So macht Lesen Sinn. Frau Schwarz nimmt sich also zum Spaß – ach nein, Spaß haben ist ja für den Anspruch verboten – Frau Schwarz nimmt also aus dem Buchregal den „Praxisleitfaden Qualität“ heraus. Walter Jahn und Lorenz Braun liefern 150 Beispiele zur Prozessoptimierung mit multivariater Statistik. Das macht zu lesen definitiv keinen Spaß und ich bin nachher schlauer (im Gegensatz zu Bibel und Tolkien). Ziel erfüllt?

 

 

Ich denke, ihr versteht so langsam, worauf ich hinauswill. Das oben genannte Buch ist ein Sachbuch, welches definitiv nicht der Unterhaltung wegen geschrieben ist. Aber hat es literarischen Anspruch?

 

 

 

Umgekehrt gefragt: Wenn ich bei einem Buch, das zur Anspruchsliteratur zählt, an einer Stelle herzlich lachen muss – ist dann der ganze Anspruch dahin? Hat es dann seine Daseinsberechtigung im Olymp über der Pyramidenspitze verwirkt?

 

 

 

Keine Antwort parat? Nicht schlimm. Fleddern wir weiter an unserem Walking Dead herum und schauen doch mal, was wir finden, wenn wir nach Anspruchsliteratur suchen.

 

Oh. Doof. Auch eine Sackgasse. Da spuckt Freund Google noch nicht mal den dezentesten Link auf eine Definition aus.

 

 

 

Aber da wir ja faul und flexibel sind, kramen wir „hohe Literatur“ bzw. „Hochliteratur“ aus unserem Obduktionsobjekt hervor. Huch, ganz schon rutschig, was da so rauskommt.  

 

Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht, dennoch lehnen sich die meisten an Horaz‘ Unterscheidung in „prodesse“ und „delectare“ – lehrende oder aber erfreuende Literatur – an, um eine Eingrenzung vorzunehmen. Hervorgehoben wird dabei, dass es sich bei Hochliteratur um „inhaltlich wie sprachlich besonders anspruchsvolle und innovative Literatur“ handelt. Ist doch schon mal was. Aber irgendwie nicht ganz das Wahre. 

Wäre das hier ein Seminar meines ehemaligen Arbeitgebers, der übrigens auch Förderer des Deutschen Buchpreises ist *juchuuu*, würden wir nun ein Auflockerungsspiel machen, um wieder Schwung in die Sache zu kriegen. Einen Versuch ist es wert. Nun: 

 

Spielen wir ein kurzes Spiel. Es heißt: Wo steht das?

 

Wo steht das? In einem A- oder U-Buch?

 

 

„Im Rückspiegel sehe ich ihn langsam kleiner werden.“

 

 

Das Hirnareal für Lektorat springt an und meldet sich zu Wort:

 

„Ein Unterhaltungslektor würde das ‚langsam‘ streichen. Weil es eines dieser verpönten Adjektive ist. Die will man nicht. Die sind überflüssig. Die nehmen alles vorweg. Die regen die Fantasie des Lesers nicht an. Ein Anspruchslektor würde das langsam vielleicht noch um ein ‚ganz‘ ergänzen. Zumindest aber würde er es stehenlassen, weil es der Situation Tiefe gibt. Den Rückblick wehmütiger erscheinen lässt. Den Abschied hinzieht.“ Vielleicht.

 

Das ist so wie mit den vielzitierten blauen Vorhängen. Der Dichter schreibt: Sie zog die blauen Vorhänge zu.

 

Zur Interpretation erzogener Leser denkt: Im Kontext mit der Vita des Autors steht das Blau für dessen aufkeimende Depression, die Verdunkelung für die Düsternis in seiner Seele, der Vorhang für die genommene Sicht auf die Welt.

 

Dichter meint: Die Vorhänge waren blau.

 

 

Ich lass das erst mal so stehen und ihr lasst es ein bisschen auf euch wirken.

 

Wie kommen wir der Sache nun auf die Spur, wie sich Anspruchs- und Unterhaltungsliteratur im Ausdruck unterscheiden?

 

 

 

Na ja, ähm. Also. Betrachten wir doch mal die Erzählzeit und die Perspektive, dann wird das sicherlich deutlicher!

 

Dadöööm. Perspektive und Erzählzeit nutzen alle gleich. Gleich unterschiedlich. Das wird mit einem Blick in die Bildungsromane und Bestseller klar.

 

Dafür muss also etwas echte Literatur herbeigezaubert werden. Wie Mephistopheles so will, liegt hier zufällig gerade ein Heftchen – Huch, Frau Schwarz geht fremd? Ja, die Leseproben der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 sind offenkundig von Thalia. Meine Entschuldigung: Die Buchhandlung lag gestern auf meinem Weg zur Kostbar. [Hier sieht man übrigens, dass ich an diesem Artikel wohl etwas länger gearbeitet habe …] Meine nächste Bestellung ergeht aber wieder an die Lesezeit.

 

 

 

Vielen Dank für die Nicht-Erhellung, also: WO steht oben erwähnter Satz nun?

 

Sag ich nicht. Noch nicht. Erst noch was zum Raten. Wo steht das? – Runde zwei.

 

a) „Ich stelle mir mich als junge Steuerprüferin vor, die Dich beruflich bedingt im Atelier aufsucht, in dem Du aufgrund der Temperaturen nur mit einem Slip bekleidet an dieser interessanten Skulptur auch dann noch weiterarbeitest, nachdem ich bereits begonnen habe, die Feuchtigkeit von der golden schimmernden Haut Deines Nackens zu küssen.“

 

 

 

b) „Weil sie ihn liebte, war sie einverstanden, dass ihr Kind, angenommen, es würde ein Mädchen, nach einem alten verschimmelten Buch heiße.“

 

 

 

c) „Im Salle Ovale der Bibliothèque nationale de France war es angenehm kühl, jedoch schon fast ein wenig zu dunkel.“

 

 

 

Vier Sätze. Vier Bücher. Vier aus dem Zusammenhang gerissene Fetzen Literatur. In ihrer Gänze mögen die Werke leichter einzuordnen sein, da lässt sich die Spreu einfacher vom Weizen trennen.

 

Das erste Beispiel und c) sind der Unterhaltungsliteratur entnommen, a) und  b) aus Büchern der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017[1].

 

Also, wer hatte sie richtig eingeschätzt? Derjenige mag gern vorrücken auf der Himmelsleiter der Literaturkenner.

 

 

 

Auf dem Weg in den Leserolymp gibt es allerdings eine weitere Hürde: Man muss den Anspruch verstehen!

 

 

 

Ja? Muss man? Kann man Anspruchsvolles nicht auch um der schönen Worte lesen? Der wohlformulierten Geschichte?  Wie hoch muss der IQ sein, um die schöngeistigen Ergüsse zu deuten? Deuten zu dürfen? Und vielmehr die Frage: Wer hat überhaupt die Deutungshoheit?

 

Der A-Leser unterscheidet sich also durch seinen Bildungsstand und die Erwartungshaltung an das, womit er seinen Geist beschäftigt, vom U-Leser.

 

Echt?

 

Sollte man meinen. Zumindest, wenn man mal in diese anspruchsvollen Leseproben blickt und sich mit den hochgelobten Inhalten beschäftigt. Den Buchpreis 2017 hat übrigens keiner der vier Zitierten gewonnen. Der ging an Robert Menasse. Auch so’n Ding.

 

 

Na gut. Springen wir einfach mal zum Fazit, bevor ich mich noch innerhalb dieses Artikels dazu hinreißen lasse, einen Exkurs zu den Literaturpreisen zu machen.



[1] Erstes Zitat aus: Ava Lennart, „Das Model und der Walflüsterer“, CreateSpace Independent Publishing Platform, 15. November 2016, a) Christoph Höhtker, „Das Jahr der Frauen“, Weissbooks Verlag, August 2017, b) Monika Helfer, „Schau mich an, wenn ich  mit dir rede!“, Jung und Jung Verlag, März 2017, c) Larissa Schwarz, „Traumhaft – Henriette“, TWENTYSIX, 27. November 2017

 

Nun denn, ich fasse zusammen:

 

Während der Anspruch sich über das Proletariat erhebt, mit einer „Selig sind die geistig Armen“-Haltung darauf hinabblickt und höheren Weihen entgegenblickt, begnügt sich die Unterhaltung damit, sich die Welt der Schönen und (Erfolg-)Reichen zurechtzulegen und in schillernden Farben auszumalen. *glitzerstreu*

 

 

 

Bücher mit Anspruch sezieren oftmals die Probleme und Konflikte derjenigen, über deren Verhalten sie Betroffenheit erzeugen, sich besser fühlen, den Leser am Ende mit dem Gefühl zurücklassen, ein besserer Mensch zu sein, als der Protagonist.

 

Wobei die Bücher das nicht selber machen, ein Buch ist ein Gegenstand, schon klar. Aber ist es der Autor? Nein, der hat ja keine Deutungshoheit. Ist es die Geschichte, die Erzählung? Oder wird sie erst durch die Vermischung mit den Gedanken des Lesenden zum Ausdruck des Besserseins?

 

Wie liest sich ein „fein gezeichnetes Drama, welches sich in einem sozialen Brennpunkt abspielt“ für jemanden, der in einem solchen lebt und quasi ein Protagonist sein könnte?

 

 

 

Der U-Leser im Gegensatz dazu wird mit dem Gefühl zurückgelassen, in einer begehrenswerten Welt Gast gewesen zu sein, vielleicht nacheifernswert, auf jeden Fall doch immer einen Schritt entfernt von Erreichbarkeit.

 

Ei, wie verwerflich. Da streben wir alle nach Entspannung und finden diese in Welten zwischen zwei Buchdeckeln. Lassen uns treiben. Wollen uns womöglich gar nicht belehren lassen, aber lernen dennoch viel über uns selbst, manchmal sogar für und über das Leben. Aber das ist in seiner Austauschbarkeit offenbar zu trivial. Sich berieseln zu lassen – wobei Lesen eine Aktivität ist und wesentlich herausfordernder als fernzusehen beispielsweise – ist grundfalsch, das bringt uns weg von –

 

 

Ja, wovon eigentlich?

 

 

Was ist so falsch daran, beim Lesen zu träumen und eine gewisse Lust zu entwickeln?

 

 

 

Frau Schwarz amüsiert sich gerade übrigens sehr über die sich ihr aufdrängende Vorstellung: Frau Meyer, pensionierte Gymnasiallehrerin, geht in die Buchhandlung, bestellt das Gesamtwerk Hölderlins, plaudert mit der Händlerin fröhlich über Thomas Mann und seine homoerotische Neigung und gibt noch ein Kafka-Zitat zum Besten, bevor sie sich verabschiedet. Und abends zieht sie heimlich unter der Bettdecke Fifty Shades of Grey auf den Reader und holt sich einen runter.

 

Moment, hat Frau Schwarz da jetzt echt –

 

Ja, hat sie.

 

 

 

Frau Schwarz erlaubt sich schließlich auch, die Bibel mit Fantasy gleichzusetzen. Beispielsweise mit Tolkien, den sie auch langatmig und sehr fantastisch (im Sinne von fantasievoll, phantasmagorisch, unglaublich – aber eben nicht real) findet. Der Unterhaltungswert beim Langweilen ist auch gering. Das Ergebnis: Weder richtig Spaß gehabt, noch was gelernt. Ist das nun also wieder Hochliteratur?

 

 

[Richtig was lernen und dabei Spaß haben kann man übrigens beim Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters. Das Standardwerk einer weltfriedenliebenden Religion, der Frau Schwarz sehr zugetan ist. Aye.]

 

Suchen wir uns einen anderen Sündenbock. Wen nehmen wir denn da? Hm. Goethe. Goethe geht immer irgendwie.

 

Wir lesen Goethe in der Schule. Weil er ein berühmter Dichter ist. 

 

Für seine Zeit gesehen, hat Goethe aber ziemlich großen Schweinkram geschrieben. Goehte, Sie sind raus.

 

Wen haben wir denn da noch? Hm.  Grass vielleicht? Oder Walser?

 

Frau Schwarz mag Grass’ Sprachduktus nicht und Walser ist ihr zu sehr mit dem Scheitern befasst.  Daher unterhalten sie sie nicht.

 

Aber wo belehren sie? Geh anderen Menschen nicht mit der gequirlten Mäusekacke auf den Sender, die dein Hirnschmalz fabriziert, wenn du alter Sack nachts nicht pennen kannst?

Ah Moment. Grass ist tot. (Hier bitte Frau Schwarz im „I love Nietzsche“-T-Shirt vorstellen.) Der bringt also nix Neues mehr. Alles in allem quasi ein Oxymoron. Na gut. Dann hat es wohl künstlerischen Wert.

 

 

 

Ähm. Wie jetzt? Grass und Walser zählen also auch nicht als Anspruch?  Frau Schwarz‘ Freunde von der Buchpreis-Longlist ebenfalls nicht? Mist. Aber: Wer denn dann? Precht? Der munter immer wieder Kant bemüht, wenig eigene Denke an den Start bringt, mehr wiederkäut als eine Horde schottischer Hochlandrinder und die hochgewürgten Bezoare mit Einhornglitzer bepudert dem Leser vorsetzt?  

 

Wer Frau Schwarz das zufriedenstellend beantworten kann, kriegt nen Keks.

 

Grass und Walser sind bei genauerem Hinsehen offenbar ein Tumor, der sich aus den Eingeweiden der Hochliteratur erwächst. Als Klassiker anerkannt, kann man aber auch Züge der Trivialliteratur bei ihnen erkennen.

 

 

 

Denn wo liegt denn nun die Ästhetik, das Schöne, das den Leser ansprechen soll? In den Worten? Es sind dieselben, die auch Unterhaltungs- und Trivialliteratur-Autoren benutzen. In anderer Reihenfolge vielleicht. Soll man das nun bewundern und sich davon beeindrucken, gar schulen lassen?

 

 

 

Wenn das der Anspruch ist, kehre ich lieber zurück zu Qualitätsmanagement und Geschichtsbüchern – die sind wenigstens mit Quellenangaben versehen und nicht mit schöngefärbten (wobei: braun finde ich persönlich nicht so toll) Erinnerungen und blauen Vorhängen …

 

 

 

In diesem Zusammenhang immer wieder gern als vermeintliches Totschlagargument genutzt: Man muss XY verstehen, um ihn/sie zu mögen.

 

 

Ah. Der geistige Horizont ist also Bemessungsgrundlage für das richtige Ästhetikempfinden und damit der Lackmus-Test in puncto Anspruch?

 

Kurzes Gedankenspiel an dieser Stelle: Wenn die geistigen Überflieger keinen Gefallen an Unterhaltungsliteratur finden, verstehen sie sie vielleicht einfach nur nicht?

 

 

Meine Meinung:

 

Beide dürfen zu Recht die erschaffene Welt des anderen als gequirlte Mäusekacke empfinden.

 

Ja, manchmal muss man den Drops etwas langsamer lutschen, vor allem, wenn er ziemlich sauer ist. Dann gewöhnt man sich an den Geschmack und kann ihm vielleicht sogar irgendwann etwas abgewinnen. Aber manchmal darf man ihn auch einfach ausspucken und widerlich finden.

 

 

 

Möchte mir jemand Erfolgsneid unterstellen?

 

 

 

Ich frag nur. Weil es ja quasi Volkssport ist, mit Neid zu argumentieren, wenn Institutionen hinterfragt werden. Neid ist Frau Schwarz nicht generell fremd und der schielende Blick geht auch gern mal nach links und rechts, ab und an sogar nach oben. Aber findet man dort den Erfolg?

 

 

 

Erfolg ist ebenso Ansichtssache wie Schönheit. Die Eckpfeiler sind zwar irgendwo vorhanden, aber nicht greifbar, da auch sie nicht definiert sind.

 

Gehen wir nach Verkaufszahlen, hat die Anspruchsliteratur verloren. Da sind Groschenromane und Unterhaltung Lichtjahre weiter vorn. Ist es die Rezeption in den (Massen-)Medien? Auch diese bringen nur, wonach die Masse fragt. Die elitäre Pyramidenspitze wird hier nur am Rande erwähnt, während die breite und ach so austauschbare Mittelklasse dominiert. Die Basis, also alles, was sonst noch geschrieben wird, verläuft im Sande der Literaturwüste. Also ist das auch kein sonderlich geeigneter Gradmesser.

 

Sind es die Literaturpreise, die Auszeichnungen und Medaillen, die den Erfolg eines Schriftstellers ausmachen? Die damit einhergehenden Loblieder und Laudationes?

 

Eine kleine Gruppe Menschen, die sich für ein spezielles Thema interessiert, ein ganzes Jahr lang nach den besten ihrer Zunft Ausschau hält und diese nach selbst auferlegten Kriterien erwählt? Wo ist der Unterschied zum Karnickelzüchterverein, in dem jedes Jahr der dollste Rammler gekürt wird?

 

 

 

Ein Blick in die Buchregale der Deutschen zeigt, dass Unterhaltungsliteratur die Top 5 der Buchkategorien belegt. Es ist also schwieriger, Erfolg in der Unterhaltungsliteratur zu haben, als beim Anspruch. Ja, ja … Was heißt also Erfolg? Per definitionem: Erfolg ist das positive Ergebnis einer Bemühung.

 

Mir fehlt da jedoch irgendwie die Maßeinheit. Wie viel Arbeit steckt in einer „Bemühung“? Kann man das in Joule messen? Und wann ist das Ergebnis positiv? Gibt es da zuverlässige, aussagekräftige Tests?

 

Ganz frech gefragt: Schleifen die Belletristik-Bestseller die Bildungsromane mit? Wenn man den Erfolg rein finanziell bemisst, bzw. an Verkaufszahlen, kann man durchaus zu diesem Schluss kommen. Allein mit Hochliteratur können sich die wenigsten Verlagshäuser über Wasser halten.

 

Gut, bevor ich nun weiterhin meinen Ruf als Ketzerin befeuere und ihr euch immer noch fragt: Was zur Hölle will sie?, hier das Finale:

 

Erleben Sie nun live am Obduktionstisch: Frau Schwarz beim Versuch einer Definition.

 

Anspruchsliteratur,

 

Literatur die mit der Erschütterung des Lesers spielt, indem sie inhaltlich auf eine Problematik eingeht, die aber in Gänze samt Metaebene vom Leser erfasst werden muss, um seinen Drang zu befriedigen, sich besser zu fühlen. Dabei bedient sie sich einer Sprache, deren Nüchternheit im totlektorierten Fall zum trockenen Furz wird, selten also mit einer lebendigen Brise Bergluft vergleichbar ist. Sie wendet sich ans Hirn, kritisiert sie doch die Gesellschaft und hat zur Prämisse, zu bilden, zu schärfen, zu positionieren. In der Erweiterung des Horizonts liegt ihr Ziel, der Denkapparat des Lesers soll angeregt werden.

 

 

 

Unterhaltungsliteratur,

 

ihr Auftrag ist kein geringerer, als mit Sehnsüchten zu spielen, sie zu schüren, Wünsche zu wecken und zum Konsum zu verleiten. Mehr Sex. Mehr Essen. Mehr Bücher. Mehr Spaß. Panem et circenses in gedruckter Form. Mitfiebern, mitlachen, mitweinen – alles ist erlaubt. In gewissem Rahmen sogar mitdenken.

 

Man darf sich mit dem Protagonisten identifizieren, in ihn verlieben, ihn oder den Antagonisten hassen, aber sich niemals über ihn erheben können.

 

Egal, wie gut oder schlecht Hintergründe, Historie und Orte recherchiert sind, der Begriff der Fiktion ist hier in seiner abwertenden Bedeutung zu sehen. Unterhaltungsliteratur hat den Auftrag, für Erfüllung zu sorgen.

 

 

 

Moment, hat sie nicht gerade geschrieben, sie soll Wünsche wecken? Ja. Das widerspricht sich aber nicht. Wünsche und Vorstellungen erfüllen das Herz, aber selten den Verstand. Sie sind Balsam für die Seele und raffinierter Zucker fürs Gehirn.

 

Also süßer Pudding, der im Vergleich zur hausgemachten Grütze im Mondschein gesammelter Waldbeeren dasteht. Klebriger Vanillewabbel gegen bittersaures Fruchtkompott.  Ketzer behaupten, die Mischung sei das Nonplusultra.

 

 

 

Na gut, was steht denn nun abschließend im Obduktionsbericht, woran das Thema Anspruch –Unterhaltung – Trivialität nun gestorben ist?

 

Multiples Definitionsversagen.

 

In vielen Fällen ist es aus der Historie des einzelnen Lesers heraus recht simpel, eine Abgrenzung vorzunehmen. Niemand käme wohl auf die Idee, Bernhard Schlink den Nationalliteraten abzusprechen, nur weil „Der Vorleser“ auch eine Liebesgeschichte enthält. Andererseits würde wohl auch kein Leser ernstlich dazu tendieren, E. L. James zur Hochliteratur zu zählen, weil sie Sätze wie „O Christian, mein Christian“ schreibt und tausendfach das Wort „köstlich“ statt lecker verwendet.

 

In anderen Werken sind die Grenzen jedoch fließend bis teilweise nicht vorhanden. Aktuelles Beispiel: Gunnar Kaiser. „Unter der Haut“ ist unterhaltender Roman, der aber nicht nur durch seine Handlung, sondern auch durch seine feine Sprache und die geballte Ladung Bibliophilie fesselt. Wer will, kann eine Lehre ziehen. Wem das zu anstrengend ist, der verschwindet einfach in den Bildern des New Yorks der 60er Jahre und lässt sich von den Thriller-Elementen mitreißen.

 

 

 

In jedem Werk der Unterhaltungsliteratur darf – nein muss, sonst wäre es ja trivial – auch ein gewisser Anspruch vorhanden sein. Und wo der Anspruchsliteratur das Quäntchen Unterhaltung fehlt, ist es wohl ein schnödes Sachbuch.

 

Sind das nun wirre Worte einer beleidigten, neidischen Autorin, die gern ernst(er) genommen würde?

 

Nö.

 

 

 

Und obwohl ich es mir eigentlich verkneifen wollte, zitiere ich als Schlusswort gern Martin Walser – die Deutungshoheit, speziell im Kontext, obliegt dem Leser: „An jedem beliebigen Schriftstellerschreibtisch wird nicht sich selbst verwirklicht, sondern gearbeitet.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als wenn ich jemals Martin Walser das letzte Wort lassen würde … ts, ts, ts … Ich entlasse euch mit dem verehrten Thomas Mann, der folgende Aussage 1915 an Ernst Bertram richtete: Wahrheit ist drei- bis vierdimensional und kann höchstens gestaltet, aber niemals gesagt werden.

 

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