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I hate to love you, Jolene. Warum mich ein Dolly-Parton-Song regelmäßig in den Wahnsinn treibt.

Wie kann man sich nur über einen Song aufregen? Und warum muss man darüber schreiben? Und wieso sollte ich das lesen? Ganz einfach, weil … hört hin.

Eine deutsche Übersetzung findet ihr übrigens hier.

Ja, und?

 

Countrymusik. In meinem Musikregal so oft zu finden, wie deutscher Schlager, wenn man von der Johnny-Cash-CD mal absieht, die unter mysteriösen Umständen den Weg in diesen Haushalt gefunden hat. Ach ja, The BossHoss sind auch vertreten, aber so richtig klassischer amerikanischer Country ist das irgendwie nicht. Spielt eigentlich auch keine Rolle, es gibt sie halt, diese Welthits, egal aus welcher Stilrichtung, die wir alle mitsingen oder -summen können, die uns an Lagerfeuerabende und Bunkerbands erinnern. Und die gefühlt schon immer da waren und nie ganz gehen werden.

 

Letzteres liegt auch daran, dass diese Songs alle Jubeljahre gecovert werden, mal mehr mal weniger gut, und gerade bei Evergreens wie eben Jolene kommen höchstens Facetten hinzu, Nuancen verändern sich, aber die schmerzlich persönliche Tiefe des Originals wird nie erreicht.

 

1973 ...

 

Wir schreiben das Jahr 1973, meine Eltern sind frisch vermählt, die Ölkrise bringt uns vier autofreie Sonntage und das World Trade Center in New York wird eröffnet. Dolly Parton schreibt Jolene. Diesen autobiografischen Song, inspiriert von den Ängsten um ihre Ehe, als ihr bewusst wird, dass ihr Mann überdurchschnittlich viel Gefallen an einer Angestellten seiner Hausbank findet und das Institut „häufiger als notwendig“ aufsucht.

 

Die Ölkrise wurde von anderen Krisen abgelöst und ist dennoch nicht final gelöst, das World Trade Center stürzte am 11. September 2001 ein. Meine Eltern sind nach wie vor verheiratet. Jolene ist auch immer noch da. Und fast so etwas wie eine Hymne für alle Frauen, die es mit einem (potentiellen) Fremdgänger zu tun haben oder hatten. [Der Betrug beginnt ja bekanntermaßen im Kopf …]

 

Und so unglaublich ungebrochen der Erfolg dieses Songs ist, so unglaublich bringt mich das Frauenbild darin zum Erbrechen.

 

Im Speziellen ist es die Opferrolle, die das lyrische Ich einnimmt. „Die Frau nimmt mir meinen Mann weg, weil sie es kann und ich kann nie wieder einen anderen lieben, wenn sie es tut.“ (Frei übersetzt.)

 

Herrje. 1973 … das waren andere Zeiten; der Kuppelparagraf war zwar nicht mehr existent, dennoch wurden viele Wohnungen noch ausschließlich an Ehepaare vermietet, nicht aber an Paare ohne Trauschein. Die Versorgerehe war gesellschaftlich noch weitestgehend anerkannt bzw. die Norm, in Deutschland wie in den USA. Aber war es normal, den Menschen, den man geheiratet hat, als Besitz zu betrachten – oder gar als Eigentum?

 

Psychologisch betrachtet ist es das ohnehin nicht, die allgemeine Auffassung dahingehend hat sich auch geändert, aber der Song samt Text ist nun mal da und ich werde das Bild nicht los, wie mich ein waidwundes Rehkitz anstarrt oder noch schlimmer: Bambi, nach dem Verlust seiner Mutter. [Der war 1973 auch schon stattliche dreißig, mal eben kurz angemerkt.]

 

„Nimm ihn mir nicht weg, du tust mir weh.“

 

Ähm, ja. Aus Sicht einer, allem Anschein nach, erwachsenen und emanzipierten Frau ist das … erschreckend. Um es freundlich zu sagen. Mit welchem Recht hängt man sich so sehr an einen Menschen? Wieso wird die andere Frau verantwortlich gemacht und in die Rolle der Aktiven gedrängt, wenn es doch eigentlich der Mann ist, der den Schritt auf sie zugeht?

 

Bevor ich jetzt wieder zur notorischen Männerhasserin degradiert werde, lasst mich eines klarstellen: Auch umgekehrt wird ein Schuh draus, ich beziehe mich hier aber ausschließlich auf den Song als Grundlage, der nun mal von einer Frau geschrieben wurde, von einem Mann auf Abwegen handelt, und die zweite Frau in Konkurrenz zum lyrischen Ich setzt. Der als hilflos und willensschwach dargestellte Mann zeugt übrigens eher von Misandrie auf Seiten der Texterin.

 

Die stellt aber lieber ihre eigene Verzweiflung zur Schau, heult sich in den Schlaf und ergibt sich der Situation. So löst man Probleme. Nicht.

 

Mich packt leider ein bisschen die Wut, wenn ich diese Schicksalsergebenheit realisiere, das gewollte Spiel mit den Emotionen, das tieftraurige und gekränkte Herz, von dem sie singt. Das lässt kein Auge trocken, auch wenn es, wie es im Englischen so schön heißt, eher „cheesy“ ist.  Seicht, platt, kitschig, schmalzig.

 

Muss man aber auch erst mal schaffen; 203 Wörter, von denen sich eins dauernd wiederholt, so zu arrangieren, dass sie jeden ins Herz treffen, der schon mal Liebeskummer hatte. Jap, da isser wieder. Der Neid.

 

Warum ich mir nicht einfach die Ohren zuhalte und das Lied ignoriere? – Ach menno. Das wäre ja viel zu einfach.

 

Bei solchen Songs kommt halt mein lösungsorientiertes Gehirn richtig auf Touren. Außerdem will ich euch ja anstecken …

 

Dass ich Bücher, in denen Frauen so dargestellt werden, nicht mehr lese und erst recht nicht gutheiße, ist ja kein Geheimnis. Warum dieses Bild aber immer noch so anerkannt ist, bleibt mir wohl ewig schleierhaft. Wir erfahren nichts über die Vorgeschichte des lyrischen Ichs,  es rückt sich durch oben angeführte Emotionen in den Mittelpunkt und absorbiert all unser Mitleid, die böse, böse Andere wird zur gehassten Antagonistin, der böse Ehemann zum schwachen Geschlecht degradiert und wir nicken tapfer und fühlen mit. Ürks.

 

Mit Blick auf die Möglichkeiten von Polyamorie und Psychotherapie zucke ich mit den Schultern und schüttle den Kopf. Sowas muss doch nicht sein. Man kann doch miteinander reden. Echt jetzt!

Vermutlich handelt es sich eh um den Klassiker; sie denkt, dass er an die Andere denkt und er denkt nur an seinen toten Goldhamster, den seine Mutter das Klo heruntergespült hat, als er fünf war. Der zufällig auch Jolene hieß. Und ihn in seine Träume verfolgt. Redenden Menschen kann so gut geholfen werden. (Auf Wunsch empfehle ich gern Therapeuten.)

 

Und selbst wenn er die Andere anhimmelt – mit ihrem Getue macht das lyrische Ich es nicht wirklich besser. Wer sich so notorisch bescheuert verhält, löst doch eher einen Fluchtreflex aus, als aufzuzeigen, was man aneinander hat. Wenn die Liebe so groß ist, dass man sich selbst aufgibt bzw. sein Selbst verleugnet, hat man eigentlich andere Probleme, als eine vermeintliche Konkurrentin. Just sayin‘.

 

„Mein Glück hängt völlig von dir ab.“

 

Bäm. Wenn mir das jemand sagen würde, würde ich Reißaus nehmen. Egal, ob es mein Mann ist oder eine Frau, die meinetwegen halluziniert. Da bewegen sich die Beine propellerartig in Achselhöhe und Usain Bolt darf um seine Rekorde fürchten. Nun kann man dieser Dichtung nahelegen, sie nutze das Stilmittel der Übertreibung. Schön und gut, mache ich ja auch gerne, wie ihr merkt, aber in so emotionales Chaos kann man sich so wunderbar reinsteigern. Und jetzt kommt’s: In Verbindung mit Musik infiltriert das sowas von schnell unser Gehirn, auch bekannt als Ohrwurm, dass wir das für real halten, uns mitreißen und anstecken lassen. Jolene ist eigentlich feinste Depri-Mucke, rockt aber dummerweise ziemlich das Gemüt. So ähnlich wie „Happy“.

 

„Man muss nicht alles interpretieren oder sezieren, man kann es auch einfach mal genießen.“

 

Sagt mein Mann. Das große weise Lama hat gesprochen. Und prinzipiell funktioniert das auch mit Jolene.

Ich liebe diesen Song, weil er starke Gefühle mit einer eingängigen Melodie verbindet. Ich verabscheue aber seinen Text (inhaltlich).

 

Cooler wäre definitiv eine Version, in der sich das lyrische Ich ins rechte Licht rückt, ohne aber die heimliche Bewunderung für die Rivalin in Hatespeech zu verkehren. In der sie nicht wie vom Blitz beim Scheißen getroffen in sich zusammensackt, sondern ihren Mann anspricht, um herauszufinden, was wirklich dran ist an ihren Verdächtigungen. In der sie sich bewusst wird, dass sie kein Recht auf eine Beziehung mit ihm hat und dieses Recht auch gar nicht braucht, weil GleichbeRECHTigung in einer Partnerschaft viel mehr wert ist.

Es muss nicht in: ‚Dann nimm ihn halt, wenn du willst!‘ enden, Trotz ist an dieser Stelle genauso wenig angebracht wie es sinnvoll ist, ihr „die Entscheidung zu überlassen“.

 

Wie gesagt, das wäre cooler. Würde vermutlich nur keiner hören wollen. Geschweige denn mitsingen oder kaufen. Tut halt nicht so schön weh, wie mitleiden. Ein bisschen Masochismus hat ja noch niemandem geschadet …

 

Wenn ihr mich also trotzdem mal erwischt, wie ich die Version von The BossHoss und The Common Linnets mitgröle: verzeiht mir. Es ist mein guilty pleasure. Danach kommt in der Playlist sicherlich wieder Volbeat mit Battleship Chains. Mist, auch nicht wirklich besser … Gut, dann eben Lightning Strike von Judas Priest. Macht man nix verkehrt mit.

 

Dolly Parton und Carl Dean sind übrigens auch immer noch verheiratet. Glücklich. Woran das wohl liegt ...

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Kommentare: 3
  • #1

    Ralf (Montag, 06 August 2018 15:58)

    Alles was ich hasse in einem Song..das ist leicht...https://youtu.be/4toCZmzILIs

  • #2

    Ava Lennart (Montag, 06 August 2018 19:12)

    Liebste Larissa, ich kann vollkommen nachvollziehen, dass dich das Thema "Frauenrolle im Wandel der Zeit" als Frischvermählte ( :) ) umtreibt. Ich muss gestehen, nie zuvor auf den Text von Jolene geachtet zu haben, es einfach nur als je nach Situation mehr oder weniger angenehmen Song in meinem musikalischen Gedächtnis abgespeichert zu haben. Mit der neuen Erkenntnis kann ich nur - einmal mehr - erleichtert lachen, dass diese Zeiten vorbei sind. Womit wir wieder oder immer noch auf einem Nenner wären. Was ich dir wirklich übelnehme - und ich weiß du weißt, was für ein perfides Spiel meine Familie liebt - ist der Ohrwurm, den ich jetzt den ganzen Abend im Ohr haben werde. Bäh, bäh, bäh.
    Mein absoluter Hatesong ist übrigens "I will survive" (außer in der Cake-Version). Das Gekreische der Damen, die bei den ersten Takten teils barfuß auf die Tanzfläche stürmen. Urgh. Diese Frauensolidarität à la Siebzigerjahre - konträr zu Jolene - ist genauso wenig zu ertragen. Jeder DJ im Lande hat das Lied als Stimmungsmacher No. 1 auf der Liste. Für mich ein Grund, das Buffet nach Resten abzusuchen und die Tanzfläche zu meiden. Wenn wir schon nach einem gemeinen Ohrwurm suchen, dann doch lieber die "Macarena". Wobei das Frauenbild in dem Song noch viel schlimmer ist... Mein Fazit: in Songs wirst du niemals ein Frauenbild finden, das stimmig ist. In Liebesromanen schon, liebe Prinzessin <3

  • #3

    Foxi (Montag, 06 August 2018 20:19)

    Ich kenne den Song nur in Verbindung / Helene Fischer mit Klubbb3 - Sorry!