Wann genau ist uns die Fähigkeit abhanden gekommen, ohne vorgehaltene Hand und rote Ohren über unser Rektum zu sprechen? Vor allem: wieso? Brauchen wir ein Plädoyer, mit dem Stöckchen im Arsch eher liebevoll zu spielen, als es rauszuziehen?
Nein, Frau Schwarz hat nicht ihre zweite Anale Phase, keine Bange. Was
hier wie der Titel eines schlechten Pornofilms klingt, ist die noch schlechtere Realität von Klischees und Vorurteilen über den menschlichen Analbereich. Wir wagen es oftmals noch nicht
einmal, das Wort in den Mund zu nehmen. Geschweige denn … Iiiiih, bah, pfui. Da waschen wir uns den Mund lieber schnell mit Seife aus und schieben das Tabu zurück in die hinterste Ablage. Aber:
warum eigentlich?
Katzen setzen sich auf deinen Schoß, recken dir den pelzigen Arsch entgegen, wackeln damit und sagen: „Guck mal, meine Rosette.“ Eigentlich finden wir das widerlich, aber hey, es ist unsere
Katze, da ist das total süß, niedlich und ein Zeichen ihrer Liebe und Zuneigung.
In einschlägigen Filmen machen die Protagonisten dasselbe, darüber spricht man aber noch weniger als über die Tatsache, dass sich Hunde an dieser Stelle selber lecken können und es sogar tun. Bei
manchen Menschen ist diese Aussage Ausdruck des Neids darauf, diese Fähigkeit zu besitzen, bei anderen ... Ekel.
Ekel wiederum ist, nach aktuellem Stand der Forschung, eine angeborene Fähigkeit, die durch Sozialisation weiterentwickelt und zur spontanen Empfindung wird. Man vermutet, dass der Körper diese
instinktive Reaktion im Laufe der Evolution gebildet hat, um den Menschen vor der Aufnahme schädlicher Substanzen zu bewahren. Dass wir ihn in Verbindung mit Gerüchen und Bildern bzw. Anblicken
empfinden, ist also eher anerzogen als angeboren. Warum ekeln wir uns nun also vor dem Anblick und dem Gespräch über den After?
Wir nähern uns mal vorsichtig dem Canale Grande.
Er ist dazu da, uns von dem zu befreien, was der Körper nicht mehr haben will. Unverdauliche Nahrungsreste und körpereigene Substanzen wie bspw. Mikroorganismen. Fäzes halt. Kinder unter zwei Jahren haben in der Regel noch keine vollständige Kontrolle über den Schließmuskel. Als Wickelnder bekommt man so recht häufig und über einen längeren Zeitraum einen kleinen Popo mit einer noch kleineren Öffnung zu Gesicht. Vermutlich nimmt man das als Eltern irgendwann gelassen hin, weil es nicht der Rede wert ist (außer, dass es echt viel Geld kostet und die Umwelt belastet, egal, wie man es macht), weil man es ja für sein Kind tut. Auch wenn es zuweilen Ekel hervorruft. [Wer bei dem Gedanken an einen nackten Kinderhintern jetzt Erregung verspürt, suche bitte seinen Arzt des Vertrauens auf. Ehrlich.]
Der Ekel vor der Normalsituation führt dazu, dass wir erst recht nicht von pflegebedürftigen Erwachsenen lesen wollen, die gewickelt und gewaschen werden müssen. Und mit Sicherheit auch keine
Erfahrungsberichte von Menschen mit
Stoma, die erzählen, wie ihr Liebesleben sich dadurch verändert hat, dass man ihnen das Rektum amputiert hat. Bah, pfui. Ich will das alles gar nicht wissen. Zurück zum
Thema.
Von der eigenen Kindheit bis zu der seiner Nachkömmlinge muss also irgendwas passieren, dass wir dieses ungute Gefühl bekommen, diesen Pelz auf der Zunge, die enge Kehle und das flaue Grummeln im
Magen, wenn wir an die Austrittsöffnung unseres Darms denken. Aber was? Immerhin berühren wir diesen Bereich im Schnitt sicherlich 1-3 Mal täglich. Allerdings mit Toilettenpapier dazwischen,
Waschlappen und Handtüchern. Aber wieso nicht pur? Ohne alles? Ach ja, der Ekel.
Umfragen zufolge ...
Eine kleine Stimmungsabfrage unter bekennend heterosexuellen Männern ergab, dass sie das Gefühl nicht mögen, dort berührt zu werden. Es sei ihnen peinlich, sie verbanden damit Untersuchungen und die Angst richtig fett einen fahren zu lassen vor einem entfleuchenden Pups. Penetration betrachteten sie kritisch, da sie befürchteten, dass der Schließmuskel ausleiert oder kaputtgeht und Exkremente mit ausgeschieden werden könnten.
Die befragten Frauen äußerten zusätzlich zu diesen Argumenten, dass sie „unschöne Erfahrungen“ gemacht hatten, und „schmerzhafte Erinnerungen“ an anale Liebesspiele.
Das Seltsame daran ist, dass ich danach gar nicht explizit gefragt habe. Ich wollte wissen: „Was fällt dir ein, wenn du das Wort ‚anal‘ hörst?“
Zugegeben, es ist ein Adjektiv und erklärt damit ein „wie etwas geschieht“ beziehungsweise wo. Aber es ist schon erstaunlich, wie meine nicht-repräsentative Gruppe es in den direkten Bezug zu
Sexualität bringt. Und über die reden wir ja ohnehin eigentlich öffentlich sehr ungern.
Freud erklärt, dass wir in eben jener Phase des analen Sauberwerdens, die wir im Alter von 2-3 Jahren erleben, auch unser Ich-Gefühl erwerben, Machtspiele und Egozentrik erlernen. Ganz Unrecht
hat er sicherlich nicht, wenn er sagt, dass diese Phase uns nachhaltig prägt, abgesehen vielleicht von der Tatsache, dass die Pubertät noch ein Schüppchen drauflegt und sich da dann sowieso
einiges relativiert, wenn nicht sogar umkehrt. An der Analen Phase allein und den Erziehungsmaßnahmen währenddessen kann es also nicht liegen. Liegt es vielleicht daran, dass wir zu wenig
Bescheid wissen über diesen Teil unseres Körpers? Uns erst damit befassen, wenn er Probleme bereitet?
Aua, aua, schreit der Bauer ...
Menschen mit Hämorrhoidalleiden (vereinfacht auch nur „Hämorriden“ genannt) haben sowieso schon wenig zu lachen, doch richtig peinlich wird es ihnen dann, wenn sie zum Arzt oder wenigstens in die
Apotheke müssen. Hämorriden entstehen in der Regel durch zu starkes Pressen und Nachpressen beim Stuhlgang, das Leiden kann aber in vielen Fällen schnell sanft gelindert werden. Bessere
Aufklärung darüber könnte sicherlich prophylaktische Wirkung haben. Aber wer will schon mit der Apotheken-Umschau gesehen werden? Die als „Rentner-Bravo“ verschriene Zeitschrift
ist jedoch besser als ihr Ruf und enttabuisiert leichtverständlich die Information über gewisse Volkszipperlein. Mit unserem Rücken und dem Wasser in den Beinen kennen wir uns bestens aus.
Obwohl das strenggenommen auch keiner so genau wissen will. Ja, ja.
Wie kam ich jetzt darauf? Ach ja. Probleme mit dem Popo. Zur Auflockerung sehen wir uns gern ein Video an.
Ich müsste mal groß.
Da stehen wir nun in der Apotheke oder vor der Arzthelferin, flüstern hinter vorgehaltener Hand, dass es uns pressiert, weil nichts passiert. Da unten. Oder weil es juckt und brennt. Was die wohl
von uns denken?
Mein Apotheker hat es mir verraten: Nichts. Erst mal. Es stellen sich ihm analytische Fragen, um die Ursache abzuklären; er denkt aber eher an die überflüssige Verwendung
feuchten Toilettenpapiers als an schiefgelaufenes Analfisting. Eher an eine
Analfistel. Ürks. In diesem Umfeld arbeiten Menschen, die täglich damit zu tun haben und denen es aufgrund ihrer Ausbildung [in den meisten Fällen] nicht peinlich ist, darüber
zu sprechen. Gemerkt? Ausbildung. Sie wissen, worum es geht, wie es aussieht und wie es heißt. Daher: Kein Grund, ein Blatt vor den Mund zu nehmen und sich zu genieren. Bis auf Veränderungen
durch bestimmte Krankheiten sehen nämlich alle Menschen an dieser Stelle gleich aus. Oder zumindest so ähnlich, dass der After an sich einen extrem hohen Wiedererkennungswert hat.
Kommen wir zu einer weiteren entscheidenden Frage:
Wieso ist der Analbereich auch optisch so tabuisiert? Man sieht ihm ja in den meisten Fällen nicht an, ob er erregt ist. Ganz im Gegensatz zum Penis, der Vagina und in uneindeutiger Hinsicht den Brustwarzen. [Ach herrje. Jetzt habe ich so viele böse Wörter in einem Satz verwendet. Ich hoffe, lieber Leser, dass das okay ist. Oder soll ich Pipimann, Muschi und Nippel sagen?] Daher hat er also wenig gemein mit der exponierten Darstellung der primären wie sekundären Geschlechtsmerkmale, die allgemein als Pornografie oder bestenfalls Erotik anzusehen ist. Ist es die Nähe zu diesen Organen? Das und die Kombination mit der Funktion des Afters wird es vielleicht sein, warum wir diesen sorgfältig bedecken. Immerhin kommt an dieser Stelle des Körpers raus, was wir alle nicht sehen und riechen wollen. Nicht alle alle, aber überwiegend alle. Es gibt ja für alles einen Fetisch und den lassen wir bitte auch jedem. [Außer denen, die ich gerade schon angesprochen habe. Bitte nicht. Lassen Sie sich helfen. Bitte.]
Nun denn, der Analbereich ist nicht die schönste Gegend am Körper, aber wer mal ganz nah an einen sehr spitzen Kussmund heranzoomt …
Na, wer musste sich gerade übergeben? Und doch ist da eine gewisse Faszination für diesen Schließmuskel, der mit Nervenfasern aus dem Kreuzabschnitt des Rückenmarks verbunden ist. Gebt es zu, ihr
habt alle schon mal den Spiegel oder die Handykamera gezückt und geguckt, wie das Ding aussieht. Weit, bevor es das Internet gab, learning by exploring. Oder aber eben gegoogelt, und sei es nur,
um abzuchecken, ob bei euch alles normal aussieht.
Ich höre jetzt auf, zu provozieren. Versprochen. Für die einen ist das Internet das Tor zur Hölle, für die anderen die Pforte zu mehr Wissen und Mehrwert. Wer lernen will, seinen Analbereich zu
akzeptieren, kann sich mal auf Tantra-Seiten schlau machen, sofern einen da nicht das rosige Vokabular verstört.
Apropos Vokabular.
Wo die einen sehr plüschig parlieren, nutzen andere eine recht derbe Sprache, wenn es um den Anus geht. Ich habe ja den Eindruck, dass es eine gewollte Abgrenzung von der Thematik ist, die sich
zu einem gewissen Teil auf Unwissen, daraus resultierenden Ängsten und den bereits erörterten Tabus stützt. Ich erspare mir hier die Auflistung informeller Ausdrücke und verweise auf bereits
bestehende Sammlungen.
Interessanterweise haben viele dieser Begriffe eine sexuelle Konnotation bzw. eine solche ist nachweisbar, wenn man die Synonyme im einzelnen googelt. Und schnell stößt man dabei auf Foren, in
denen sich [auch heterosexuelle] Männer ihre Rosetten zeigen, bei der analen Masturbation gegenseitig im Live-Chat anfeuern und das alles ganz normal finden. Weil es das ist. Welcome to 2019. Sie
haben das Informationszeitalter erreicht. [Tschuldigung, ich geb mir echt Mühe, nicht zu provozieren.]
„Aber man muss ja nicht alles mikroskopisch genau betrachten und überall was reinstecken, nur weil es geht.“
Doch. Man kann es zumindest mal ausprobieren. Wer Freude an Experimenten im Analbereich hat, soll diesen frönen. Gleitgel nicht vergessen. Entschuldigen Sie bitte, lieber Leser, wenn ich Sie doch schon wieder verstöre. Man könnte übrigens nun argumentieren, dass wir den Anus nicht mal eben so betrachten können, weil die Evolution das nicht vorgesehen hat. Schließlich kann man sich auch im Normalfall nicht selbst den Ellbogen lecken. [Ich sehe vor meinem geistigen Auge gerade, wie es einige Leser versuchen.] Daher ist uns dieser Part des Körpers auch verhältnismäßig fremd. Hinzu kommt, dass er, sofern nicht frisch gewaschen, auch einen sehr eigenen Geruch verströmt, den wir als Homo technologicus eher befremdlich finden als normal. Mutter Natur hat sich bei den Ausdünstungen unseres Körpers aber ein bisschen was gedacht, und wenn wir uns alle mal genau so viel entspannen, merken wir, wie überflüssig so mancher Gedanke dazu ist.
Es sei denn, man hat am Vortag Erbsensuppe gegessen. Oder Mais. [Mit dieser Aussage lasse ich Sie einfach mal allein. Auch mit dem Gedanken, dass die deutsche Bezeichnung für Anus übrigens
(Fuß-)Ring ist.]
Larissa Schwarz auf der Jagd nach der Analconda?
Das hier ist [k]ein Plädoyer, mit dem Stöckchen im Arsch eher liebevoll zu spielen, als es rauszuziehen. Wie so oft, wenn mich das Relativieren anfällt, um bloß allen gerecht zu werden, lege ich
mich nicht fest, was meine persönliche Meinung bzw. Betrachtung dazu betrifft. Ich werde nicht über die Freuden von Analsex referieren, keine weiteren Fachtermini einführen
[ha-ha, sie hat einführen geschrieben] und auch nicht für die Abschaffung von Fäkalsprache plädieren.
Ich wundere mich einfach leise weiter, wieso manche Menschen das Wort „anal“ nicht ohne wahlweise Würgereiz oder Backfischkichern aussprechen können, während andere ihr Rektum fotografieren und
weltweit öffentlich zur Schau stellen. Am meisten aber werde ich mich fürderhin fragen, was – um alles in der Welt – Menschen dazu verleiten kann, sich derart hässliche Fliesen ins Badezimmer zu
kleben.
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Reinhard Claves (Samstag, 15 August 2020 07:18)
Ein Scheitern im Umgang mit dem Thema liegt in der frühen Sexualaufklärung die in den Familien nicht statt findet. Dort fangen die Tabus an und schaffen Unsicherheiten. Ich, mit vielen Geschwistern aufgewachsen, in den Ferien auf Bauernhöfen groß geworden, habe Eltern gehabt die uns sehr früh über Sexualität aufgeklärt haben. Das war für unsere Entwicklung von erheblichem Vorteil.