Sie dürfen die Autorin jetzt füttern. Aber bitte nicht mit Geschichten.

 

Von Keksen, auf die man Autoren geht, die sie aber lieber essen würden. Von Geschichten, die das Leben schreibt, aber nicht automatisch verschriftlicht. Und von enttäuschenden Empathen.

 

«Du bist Autorin? Spannend. Also, ich hab ja so viel im Leben erlebt, das müsste mal jemand aufschreiben. So was findet man nicht in den Buchregalen!»
So oder so ähnlich fällt oft die Reaktion aus, wenn ich jemanden kennenlerne, der noch nicht viel von mir weiß. [Was man sich ja kaum vorstellen mag bei meinem Bekanntheitsgrad. Ironie off.]


Die Person weiß folglich nicht, dass sie nicht die einzige ist, die so beginnt und dann wasserfallartig ins Schwärmen, Weinen und Erzählen ausbricht. Diese Situationen sind für mich ungefähr so erheiternd wie die Frage, ob ich vom Schreiben leben kann. Einerseits will ich das Erlebte und die Gefühle nicht kleinreden, andererseits fällt es mir schwer, den Verlauf des Gesprächs nicht gebetsmühlenartig vorherzusagen. Und ich wette eine Prinzenrolle [Kekse, nicht im Roman] darauf, dass es nicht nur mir so geht, sondern auch viele andere Schreibende an dieser Stelle eifrig nicken.

 

Nicht, dass ich an meinem Gegenüber nicht interessiert bin.

 

Ich bin eine aufmerksame Zuhörerin, empathisch und durchaus empfänglich dafür zu erfahren, mit wem ich es zu tun habe. Aber beinahe jedes Mal, wenn die Unterhaltung an diesen Punkt kommt, folgt irgendwann der Satz: «Du musst mich mal besuchen kommen. Ich hab so viel zu erzählen, damit füllst du dein nächstes Buch. Wird ein Bestseller. Ehrlich. Wirklich. Glaub mir. Das geht durch die Decke!»
Ich bin geneigt, freundlich zu nicken und zu erklären, dass ich einen kleinen Einblick in den Buchmarkt habe und weiß, welche Bücher dort reüssieren, und dass dieses keinerlei Chance hat, egal wie gut es geschrieben ist. Ich nicke stattdessen tatsächlich freundlich und erkläre, dass ich mit meinen eigenen Projekten ausgelastet bin [ungelogen!], dass die komplette Lebensgeschichte sicherlich spannend ist [mal so, mal so] und dass ein guter Ghostwriter das für einen kleinen fünfstelligen Betrag in eine angemessene Form bringt [auch wahr] und ich gern jemanden vermittle.


Und dann … dann sehe ich das Entsetzen in den Augen. «Fünfstellig? Das sind mindestens 10.000 Euro!»
Jap. Die Schlaufüchse rechnen übrigens noch die Mehrwertsteuer drauf.
Dem Entsetzen folgt Schnappatmung. Dann die Phase des Weglächelns und Abwinkens. «Nein, das ist so wichtig ja nicht. Ich dachte, du könntest … also … aber du verdienst offenbar gut …»

Den letzten Teil des Satzes lasse ich unkommentiert stehen und  selbst wenn der erste nicht so gemeint war, bediene ich ihn mittlerweile mit «aus geschäftspolitischen Gründen nehme ich solche Aufträge nicht an, sorry».

 

Warum eigentlich nicht? Wir lieben doch die Geschichten, die das Leben schreibt.

 

Das trifft auf «Bild der Frau» oder Tageszeitungen zu. Kurz und knackig, Bild dabei, fertig. Biografien «funktionieren» in der Regel nur bei bekannten Persönlichkeiten. Wäre Michelle Obama Anwältin geblieben und nicht politisch aktiv geworden bzw. Präsidentengattin, hätte sie zwar immer noch eine beeindruckende Vita, aber das Buch würde keine Sau interessieren. Was soll dann also am verschriftlichten Leben von Mathilde Knippelsbusch so revolutionär sein?
Vielleicht lehne ich mich damit ein bisschen zu weit aus dem Fenster, aber man kann es auch von dieser Seite betrachten: Im Leben jedes Menschen findet sich etwas so Spannendes, dass man daraus eine verwertbare Geschichte machen kann. Jedoch nicht unbedingt als Biografie. Auch nicht als Fünfunddrölfzigstes Mutmacher-, Lifehack- oder Sinnstifterbuch. Nei-hein. Dieses Buch kann man für sich und die Familie, den Freundeskreis und Bekannte schreiben. Wenn man so viel Geld in die Hand nehmen möchte, kann man es auch schreiben lassen. Aber es wird  nie und nimmer die Massen erreichen. Und sei es noch so gut geschrieben. Wer die Käuferschar nicht schon bei Drucklegung hinter sich hat, wird den Buchmarkt nicht mit «Mathilde Knippelsbusch – My life» überraschend erobern.


Ja. Es gibt diese Ringeltauben.
Aber. Das. Sind. Ausnahmen.
One in a million. Und welcher hauptberufliche Autor ist so unterbeschäftigt, dass er sich so intensiv damit auseinandersetzen will, was Mathilde erlebt hat, wie man das mundgerecht servieren und zu einem Erfolgsbuch formen kann?
Eben.


Mögen mir damit Millionen entgehen, weil ich diese einmalige Chance verpasse [jedes Mal, wohlgemerkt], ich verpasse aber auch ziemlich viel geplante Arbeitszeit, wenn ich auf jeden dieser Züge aufspringe und schaue, wo er denn hinfährt.
Ich habe übrigens oben bewusst geschrieben, dass so ein Buch die Massen nicht erreicht, und nicht, dass es sie nicht interessiert. Ich bitte darum, diese Unterscheidung auch genau so zu verstehen.
Würde Paul Auster meine Biografie schreiben, hätten wir eine Chance, einen Hit zu landen. Aber das wäre nicht der Fall, weil mein Leben so erzählenswert ist. Hier wäre es der Name, der für den Absatz sorgt. Seiner, wohlgemerkt.
Jap. Ich gebe zu, ich bin zu unbekannt, um andere bekannt zu machen. Als Ghostwriter würde übrigens auch nicht mein Name auf dem Cover stehen, sondern Mathildes. Von meiner Arbeit würde niemand Kenntnis erlangen. Ich kann mir also Mühe geben, so sehr ich will, der Zug endet am nächsten Bahnhof. Und dort noch nicht mal in der Buchhandlung.
Würde ich wiederum eine Biografie über Paul Auster schreiben, hätte diese es am Markt übrigens auch nicht leicht. Ich bin keine Auster-Expertin, ich kann eher was mit Austern anfangen, außerdem werde ich mit seiner Erzählweise nicht warm. Egal. Back to Mathilde.


Als attestierte Empathin muntere ich Mathilde [die ich nun stellvertretend für diese Art von Gesprächen nehme] auf und empfehle ihr, ihre Geschichte in eigenen Worten niederzuschreiben. Das kostet erst mal nur [ihre] Zeit, aber kein Geld.

 

 

«Ach, das kann ich nicht. Das wird nichts.»

 

Diesen Satz liest man auch häufig bei geschichtenbegeisterten Menschen, die gern lesen und ebenfalls vom eigenen Buch träumen. Sei es eine fiktionale Erzählung oder auch etwas Autobiografisches.
Wäre ich so hochnäsig wie man mir ab und an unterstellt, würde ich davon abraten, seine Zeit damit zu vergeuden. Oder erklären, dass man weiß, wann die Zeit reif ist und dann durchstarten kann. Ich bin aber nur halb so hochnäsig und denke an das, was meine Grundschullehrerin immer sagte: «Schreiben lernt man nur durch schreiben.» Also rate ich zum Anfangen.

Man kann sich natürlich vorbereiten und durch den Konsum von Schreibratgebern herausfinden, wie man sein Buch am besten angeht. Ob man plant oder erst mal nur schreibt, ob man es veröffentlicht wissen will oder nur für den Eigenbedarf verfasst. Das entscheidet jeder für sich, aber auch der beste Ratgeber nützt nichts, wenn man nicht irgendwann die Worte verschriftlicht.

 

Wie sehr Mathilde nun an ihre eigene Geschichte glaubt, wie wichtig sie ihr ist und wie gern sie sie in den Händen halten will, ob veröffentlicht oder privat gedruckt, wird deutlich, wenn sie fragt: «Kann ich dir das dann zu lesen geben?»

 

Die wenigsten dieser Gespräche kommen übrigens bis an diesen Punkt, meistens ist beim Wort Ghostwriter Schluss. Und ausgerechnet an dieser Stelle muss ich Mathilde leider enttäuschen.

In der Vergangenheit habe ich immer wieder die Herzensgeschichten anderer gelesen, Feedback gegeben und ermutigt, weiterzumachen. Ich habe die Internetseiten von Noch-Nicht-Autoren oder Jungautoren oder angehenden Autoren besucht, gelikt und auf ihre Fragen via Mail geantwortet. Ich habe Manuskripte gelesen, Anmerkungen gemacht, teilweise auch lektoriert und korrigiert. Stunden- und tagelang. Für lau. Manchmal für noch weniger als ein «Danke».

 

Ums kurz zu machen: Ist nicht mehr. Weil geht nicht mehr. Weil wegen isso.

 

Mir fehlt schlicht und ergreifend die Zeit. Und der Nerv. Wer schreiben lernen will, besuche einen Kurs, wenn ihm Ratgeber nichts bringen. Wer geschrieben hat, und Feedback möchte, schließe sich Gruppen an oder veröffentliche vorab auf Plattformen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Und es gibt so viele Leser, die es gern machen. [Wirklich.] Ich lese es gern, wenn ich es in meiner Buchhandlung erwerben kann, und das Thema mich interessiert. Ich kauf’s mir dann. Und ich rede auch gern darüber, wenn es mir gefällt. Und ja, ich gebe dann auch zu, dass ich abgelehnt habe, diesen Kassenschlager schriftstellerisch zu begleiten. Aber ich mag nichts mehr aus reiner Gefälligkeit lesen.

 

Nun kann man poltern, dass ich selbst regelmäßig Testleser suche und diese für gewöhnlich nicht monetär honoriere, sondern allenfalls mit einem Dankeschön bedenke. Man kann aber auch anerkennen, dass das nicht mit Hochnäsigkeit, sondern mit Zeitmanagement und gegenseitiger Wertschätzung zu tun hat und dass es da zuweilen auch um bereits lektorierte Texte geht. In der Regel sind meine Testleser nicht selbst Autoren oder anderweitig in der Buchbranche tätig, sondern gehören zu meiner Zielgruppe und/oder meinen Freunden. Sie sind diese Leser, die aus Überzeugung und Freude am Lesen lesen, die sich mir und den Geschichten verbunden fühlen, und die auch jederzeit ablehnen können. Sie sind meine Verbündeten, meine Kritiker, meine Helden. Danke euch!

 

 

Sie dürfen die Autorin jetzt füttern. Kekse bitte an die im Impressum ausgewiesene Adresse. Danke.

 

 

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