Wie ich als bekennende US-Fahrzeuge-Liebhaberin die Techno Classica 2019 [üb]erlebte.
Im Vorfeld las ich unter einem Beitrag zur Techno Classica den Spruch „It’s a man‘s world“.
Und frei nach James Brown „But it wouldn't be nothing, nothing, without a woman or a girl.“ machte ich mich am zweiten Messetag auf den Weg nach Essen. Die Anreise war scheiße wie immer, ich lobpries dafür aber den Tag, an dem ich seinerzeit meinen Job in Essen gekündigt hatte und war froh, mir den Stau auf der A40 nicht mehr täglich geben zu müssen. Die 10 Euro Parkgebühren fürs Tagesticket ignorierte ich gekonnt und latschte dann mit dem Tross zur Messehalle.
Schon auf diesem kurzen Weg war klar: Ich würde an diesem Tag ziemlich viele grauhaarige Männer in beigen Hosen, blauen Pullovern und Daunenwesten sehen.
Das Stimmengewirr am Eingang: nicht ganz babylonisch, immerhin Deutsch, Niederländisch, Französisch, Italienisch, Englisch. Wohl dem, der seine Eintrittskarte online gebucht hat, für drei Euro weniger als an der Tageskasse ging es an der Schlange vorbei, Handy[ticket] vorzeigen und immer der Nase nach. Wobei es weniger Benzingeruch war, denn der nach Politur, Gummi und trockener Luft, der mir beim Betreten der Halle entgegenschlug.
Was wollte ich eigentlich?
Gucken. Gespräche führen und mithören. Ganz allgemein: recherchieren. Über den Tellerrand blicken. Für mich als Freundin US-amerikanischer Autos gab es erwartungsgemäß nur wenige Ausstellungsstücke, die mein Herz erobern konnten, allerdings haben mich der ein oder andere Mercedes und Austin Healey überrascht, die ich sonst nicht auf dem Radar hatte. Mein persönliches Highlight war aber der BMW M1 Procar „Boss“, der seinerzeit mein erstes Modellauto gewesen ist und bei irgendeinem Umzug verloren ging. Wiedersehen mit Freude.
Der Teilemarkt war für mich folgerichtig auch nur mäßig interessant, für die Fahrer europäischer Oldtimer aber umso mehr. Sollten VW mal die Radios ausgehen: Es gibt noch genügend Becker-Modelle im Gebrauchthandel, die funktionieren auch sehr zuverlässig!
Imposant: Die Mercedes-Ausstellung
Diverse Repliken, Oldtimer, die zwar steinalt sind, aber nie zugelassen waren sowie Flügeltürer in Massenhaltung sieht man nicht jeden Tag auf ein paar Hektar versammelt.
Concept-Cars, Kardanwagen und ein kurioses Motorrad – in Halle 1 hatte ich auf jeden Fall das Gefühl, eine Zeitreise zu machen
Aus persönlichen Gründen* bin ich durch Halle 4 nur gehuscht und nach dem hundertsten Porsche habe ich aufgehört, die Unterschiede zwischen den Modellen zu suchen. Leute: Ich kann mir doch keine Nummern merken – gebt den Autos Namen!
Was aber blieb war der Eindruck, dass Porschefahren längst nicht mehr elitär, sondern schon fast egalitär ist. Ändert aber nichts daran, dass ich mich durchaus für einen älteren 911er erwärmen könnte.
[*VW hat mein automobiles Herz einmal gebrochen und das verzeihe ich ihnen nie!]
Menschen. Jede Menge Menschen.
Menschen, die zwischen Autos wuseln. Die anfassen, obwohl „don’t touch it, sonst klatscht et“ dransteht, die mit Taschen und Jacken[reißverschlüssen] an Fahrzeugen mit sechsstelligem Wert vorbeischrammen ... Ich möchte nicht mehr daran denken. Rührend fand ich den uniformierten Club der BWLer, die ich spontan Justus 1-13 getauft habe. Die Herren haben offenbar auch alle denselben Friseur und den gleichen Autogeschmack. Die Justusse waren schon um 12 Uhr ziemlich angeschickert, machten sich am Stand mit französischen Delikatessen breit, köpften eine Flasche Champagner und zeigten sich gegenseitig ihre Errungenschaften. Warum rührend? Sie wirkten wie eine Horde Jungs im Kindergarten, die sich zum Mittagessen versammelten und ihre Matchboxautos mit an den Tisch nehmen durften.
In puncto Recherche für kommende Veröffentlichungen haben die 13 Justusse also dankenswerterweise ein Klischee bestätigt, mit dem ich nun ungestraft spielen darf. Merci beaucoup.
Die geschätzt 5 % Frauen sah man übrigens alle am Arm/an der Hand eines Mannes mit leuchtenden Augen, selbst eher unmotiviert dreinblickend, mit dem Handy beschäftigt oder stumpf nickend. Verbündete habe ich also keine gefunden und am Vintage-Playboy-Stand habe ich dann auch aufgegeben, mir einzureden, dass ich mich nicht in eine Männerdomäne gewagt hatte. Offenbar kann man übrigens nicht früh genug damit anfangen, die Autofahrer von morgen an das Objekt der Begierde heranzuführen, immerhin begegnete ich zwei schreienden Babys. Und ich konnte ihnen so nachfühlen; was zu viel ist, ist zu viel. Große Halle, miese Luft, nur Ärsche in Sicht und kein Bewegungsspielraum. Seriously, warum nimmt man so kleine Kinder mit auf die Messe? Gebt ihnen wenigstens für Spaß ein Lenkrad an den Buggy, die gibt es dort für nen Appel und n Ei. Oder direkt so einen Mini Jeep? Für 9.500 € gibt es für den Nachwuchs bereits den ersten Bugatti — Seifenkistenrennen kommen sicherlich wieder irgendwann in Mode. Zur Lieblingsmarke einkleiden können ambitionierte Eltern ihre Sprösslinge übrigens ab Größe 50/56. Bodys mit Mercedes-Stern, Westen mit Jaguar-Emblem, Shirts im Hot-Rod-Look, alles da.
Spannend: Rund um die Restauration
Für denjenigen, der selbst Hand anlegen oder zumindest wissen will, was im Zuge der Restauration mit seinem Fahrzeug passiert, war wiederum eine breite Palette an Ausstellern vor Ort. Ich war recht erstaunt über die Farbdatenbank, die man mir bei Glasurit gezeigt hat – mit wenigen Mausklicks ging es zur originalgetreuen Nachlackierung für den Pontiac. Das Gespräch mit dem Motoreninstandsetzer MRM war ebenfalls aufschlussreich und beinahe hätte ich dem Catalina einen Außenspiegel für die Beifahrerseite gekauft, allerdings waren weder die Händlerin noch ich sicher, ob es der richtige fürs Modell war.
Interessant: Ein Einblick in die Arbeit von Classic Analytics
Frank Wilke, Geschäftsführer und Bentley- sowie Rolls-Royce-Liebhaber, nahm sich die Zeit, mir ein bisschen über die Arbeit als Marktanalyst zu erzählen. Am Beispiel des dort ausgestellten und frisch bewerteten Opel Ascona A erläuterte er mir, wie sich nicht originale, aber technisch hochwertige Umbauten auf den Fahrzeugwert auswirken. Der 1972er Ascona hat u.a. einen 2,5 Liter Querstrommotor verpasst bekommen, der ihm gut zu Gesicht steht, und durch das entsprechende Bremssystem und Fahrwerk die sportliche Linie auch auf Sicherheitsebene vervollständigt. Die Felgen sind … Geschmackssache, aber eben alles andere als die typische „Verbastelung“; in diesem Falle ist gut gemeint jedoch auch gut gemacht worden. Und das zeigt sich schlussendlich im Gesamtwert des Fahrzeugs, der mit knapp 40.000 Euro um einiges höher ist, als der eines gewöhnlichen Straßen-Asconas.
Über ein paar Sprüche schmunzeln übrigens Fahrer*innen von 20.000 wie 200.000 Euro teuren Fahrzeugen gleichermaßen:
„Ach das da? Hat mich nie gestört!“
„Neee, das ist normal, das haben die alle!“
„Amerikaner können nicht lackieren!“
Und sonst so?
Ein Crashkurs in Sachen Pinstriping, endlich die richtige Vollgarage bzw. zweite Haut gefunden und ein Mitbringsel für Henning, genauer gesagt zwei, erstanden. Die Pontiac-Broschüre und das Magazin hatte ich schon länger im Visier, aber bei US-Literatur Silger dann auch mal in die Hand nehmen und darin blättern können.
Besonders hervorheben will ich an dieser Stelle noch das tolle Engagement vieler Messeaussteller zu Gunsten der Kinder-Krebshilfe und die charmante Aktion des Zeichners Lothar Krebs zusammen mit der Zeitschrift Oldtimer Markt. Lothar Krebs zeichnete Messebesucher gegen eine Spende an die Kinderkrebshilfe als Karikatur im Lieblingsauto. [Eine nicht-repräsentative Umfrage auf Instagram ergab, dass er mich gut getroffen hat.]
Bei Tweed-Jacketts, Schlägermützen, alten Koffern und Leuchtreklame habe ich dann nach etwas mehr als vier Stunden kapituliert und ein paar persönliche Zahlen zusammengestellt:
0,9 Liter Kaffee
2,3 Kilogramm Papier
10 Euro Parkgebühr
20 Euro Spende
22 Euro Eintritt
60 Euro Literatur
112 Bilder
ca. 10.000 Schritte
Um mit James Brown diesen Artikel zu beenden: Man made the car to take us over the road. Und zwar am Steuer und nicht zwangsläufig auf dem Beifahrersitz. ️
Und selbst wenn Frauen auf der Techno Classica unterrepräsentiert sind: Die coolste Charger-Fahrerin und die weltbeste Fahrzeugentwicklerin gibt es in Eschberg. Ähnlichkeit mit lebenden Legenden durchaus möglich. Don't drink and drive.
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Tamara (Freitag, 12 April 2019 11:57)
Danke, für diesen Bericht und die vielen tollen Bilder! Dem letzten Satz kann ich nur zustimmen! ��
Gaby (Freitag, 26 April 2019 01:06)
Super toller Bericht. Ich bin das 7 Jahr auf dieser Messe am Classic Analytics Stand. Ich liebe diese Messe,die Fahrzeuge und das Publikum.
Es war schön, Sie am Messestand anzutreffen.
Ich liebe Oldtimer und gerade auch US Cars. Kaunitz und US Car Show Grefrath sind toll!!!
LG und weiter viel Spaß und Erfolg