· 

Das Märchen von der Taubenstraße – Oder auch: Robin Hood in Sherwood Histincfeld

Es war einmal …


… eine wunderschöne Straße in Sherwood Histincfeld, NRW. 50 Jahre lang lebten die Anwohner in Frieden, bis der Sheriff von Nottingham sie heimsuchte und ihre Gemeinschaft erschütterte. Dies ist ihre Geschichte

 

 

Vor den Toren der Stadt Lake1 lag einst die ländliche Gemeinde Histincfeld2, ein hübsches Fleckchen Erde, bevölkert mit freundlichen, rechtschaffenen Menschen, braven Steuerzahlern. Vom hart erarbeiteten Geld erwarben einige von ihnen Grundstücke, um Häuser für sich und ihre Familien darauf zu errichten. Friedlich gesinnt, richteten sie sie aneinander aus und ließen Platz für Pferdegespanne, Fußvolk und Karren dazwischen. Symbolisch für ihre gute Absicht gaben sie diesem Weg den Namen tūbenwec3 und schworen einander gute Nachbarschaft.

 

Bald wurde der Weg befestigt und immer mehr Karren zogen auf ihm aus dem Rotbachtal ins Dorf, das sich aufgrund seiner Lage und Beschaulichkeit wachsender Beliebtheit erfreute. In den Jahren ‘52 bis ‘72 dieses früheren Jahrhunderts schloss man zur Freude der Anwohner den tūbenwec an die Kanalisation an.  

 

Die Freude trübte ein wenig, als man den Gebührenbescheid dazu erhielt und vom knappen Ersparten stattliche Summen abdrücken musste. Doch die Vorteile überwogen und da ihnen ohnehin nichts anderes übrig blieb, zahlten sie zähneknirschend. Zu ihrer Erleichterung erfuhren sie, dass von den Grundsteuern, die sie jährlich zu zahlen hatten, unter anderem die Straße und der Kanal instandgehalten werden sollten.

 

Als einfache Leute hatten sie natürlich keine Ahnung, wie lange so ein Konstrukt nutzbar ist und was zu seiner Erhaltung getan werden muss. Brauchten sie auch nicht, denn in der nicht weit entfernten Stadt gab es Experten, die dies im Blick hatten und wohl dafür sorgen würden, dass die schöne Straße für alle, ob Anwohner oder Fremde, immer nutzbar bleiben würde. Außerdem hatten sie im Laufe der Jahre andere Sorgen, gründeten Familien, bauten an und um, gestalteten ihre Gärten, renovierten und sanierten ihre Häuser. Histincfeld blühte auf und lockte immer mehr Menschen, sich anzusiedeln – hier, wo das Ruhrgebiet ausläuft und der Niederrhein sich eröffnet. Wo man mit einem Fuß im Naturschutzgebiet Hohe Mark steht und mit dem anderen in der Metropole Ruhr.

 

Die Anwohner vom tūbenwec zahlten ihre Hypotheken an die Bank, Steuern an die Stadt und Notgroschen in den Sparstrumpf, viele Jahre. Ihre Straße, die im Laufe der Zeit so viele Menschen hatte kommen und gehen sehen, bröckelte hier und da, bei stärksten Regenfällen vermochte auch der Kanal nicht mehr zuverlässig seine Arbeit zu verrichten, aber wenn wirklich Maßnahmen notwendig wären, würde die Stadt Lake das ja sicherlich erledigen. Dachte man dort. Oder auch nicht, denn für gewöhnlich beschäftigt man sich mit der Straße, auf der man fährt, an der man wohnt, auf die man schaut, ja nicht so häufig. Nur dann, wenn es einen Unfall gab oder neue Leitungen gelegt werden. Oder wenn es brennt.

 

Man sieht die Spezialfahrzeuge der städtischen Servicegesellschaften und denkt sich nichts dabei, selten bis nie erfährt man den Grund ihrer Anwesenheit. Und so kam es, dass auch die Anwohner des tūbenwec im Jahre ‘04 des folgenden Jahrhunderts schulterzuckend ihrer Dinge nachgingen, als ein solches Fahrzeug auftauchte, etwas zu untersuchen schien und so schnell wieder abrauschte wie es gekommen war. Ein bisschen fiel der tūbenwec in den Dornröschenschlaf, waren doch viele Anwohner bereits in Würde ergraut, die eigenen Kinder bereits aus dem Haus und der ein oder andere Nachbar schon verstorben. Der Lauf der Dinge halt.

 

Geweckt wurden sie erst fünfzehn Jahre später, wenig märchenhaft nicht vom schönen Prinzen, sondern vom Sheriff von Nottingham [pardon ...] obersten Baumeister von Lake, der sie an einen Versammlungsort berief, um ihnen mitzuteilen, dass der tūbenwec saniert werden müsse. Stirnrunzelnd und mit einem Gefühl des Unwohlseins traten ein paar Anwohner auf die Straße und besprachen sich. Man überlegte gemeinsam, was das nun bedeuten solle, denn in der Ankündigung stand, dass man auch über die Kostenbeteiligung aufklären wolle. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die absurd anmutende Kunde, dass der Kanal unrettbar sei, die Straße mehr ein Flickenteppich und die unbefestigten Gehsteige so nicht bleiben könnten. Bäume würden fehlen, Parkplätze müssten definiert werden und vielleicht auch die Straßenbeleuchtung erneuert. Den Anwohnern des tūbenwec wurde angst und bange, als hinter vorgehaltener Hand bereits Summen geflüstert wurden, die ihre Vorstellungskraft sprengten. Fünf- bis fünfzehntausend Dukaten4 sollte jeder von ihnen aufbringen, so wolle es das Gesetz. Unglaube machte sich breit. Man hatte doch all die Jahre Steuern bezahlt und seinerzeit auch Erschließungskosten. Wieso sollte man nun erneut derart zur Kasse gebeten werden?

 

Der Sheriff von Nottingham oberste Baumeister schlug ein großes, schweres Buch5 auf, murmelte ein paar Zauberworte, zuckte mit den Schultern und überließ die Anwohner des tūbenwec ihrem ungläubigen Staunen.

 

Statt aber weinend in ihre Häuser zurückzukehren und dort in Schockstarre zu verfallen, formierten sie sich – man hatte sich doch gute Nachbarschaft geschworen und so viele Jahre gut miteinander gelebt, das sollte nicht vorbei sein.

 

Als sie Augen und Ohren wieder trauten, erfuhren sie von vielen anderen Kommunen im Lande, dass man dort ähnliches erlebt habe oder gerade in derselben Situation sei. Machen könne man aber nichts, es sei schließlich das Gesetz.

 

Gesetze jedoch kann man ändern, und auf ihrer Suche nach Möglichkeiten stieß die kleine Initiative auf einen gewissen Robin Hood6. Der nahm zwar nicht von den Reichen und gab es den Armen, aber setzte sich schon seit Jahren dafür ein, dass die von allen verlangten Steuern nicht verschwendet würden und man auch Vorhaben von großen Baumeistern dringend prüfen und notfalls verhindern müsste. So kam es, dass fast eine halbe Million Menschen im Lande eine Petition auf den Weg brachten, die Straßenbaubeiträge abzuschaffen. Am Beispiel anderer Länder zeigten sie auf, dass das machbar und eine solidarische Verteilung der Kosten auf alle fairer wäre.

 

 

Der Sheriff von Nottingham oberste Baumeister der Stadt Lake lächelte wie immer müde aus seinem fahlen Gesicht. Das alles sei schön und gut, aber es gäbe nun mal dringenden Handlungsbedarf, weil der Kanal ja ach so kaputt und nicht mehr reparabel sei. Man wolle zwar mit der Rechnung warten, bis der Landtag entschieden habe, wie die Kosten zukünftig umgelegt würden, aber es sei Eile geboten. Nach aktueller Lage müsse man aber eine Beteiligung der Anwohner vorsehen, da die Sanierung und Verschönerung eine Aufwertung der anliegenden Immobilien zur Folge hätten, den höheren wirtschaftlichen Nutzen müssten die Anwohner abgelten.

 

So schauten dann die Menschen entlang des tūbenwec in ihre Sparstrümpfe und keiner fand in seinem so viele Dukaten wie die Schätzung forderte. Hatte man doch das meiste ins Haus und den Garten, Urlaube und generell die gestiegenen Lebenshaltungskosten investiert. Der Sheriff von Nottingham oberste Baumeister sicherte zu, dass man für alle Anwohner Mittel und Wege der Finanzierung finden würde, wofür er skeptische Blicke zumeist ergrauter Häupter erntete. So wenig Gras wie auf dem Flickenteppich tūbenwec wuchs, wuchs auch über die Sache. Schließlich bedrohte das städtische Vorhaben Existenzen.

 

Dennoch zogen ein paar Wochen ins Land, Boten brachten Briefe ins Rathaus und zurück an die Initiative, es gab eine weitere Versammlung, bei der der Sheriff von Nottingham oberste Baumeister Zugeständnisse erwog, aber von seiner Planung insgesamt nicht abließ. Grundsätzlich hatten die Menschen vom tūbenwec nichts gegen eine Erneuerung des Kanals – in ihren eigenen Exkrementen hocken wollten sie schließlich auch nicht – aber für sie erschien es nach wie vor absurd und unfair, dass sie die mangelhafte Organisation der Stadt Lake bezahlen sollten. Robin Hood versprach ihnen weitere Unterstützung, wies aber gleichwohl darauf hin, dass es ein Spiel auf Zeit werden könnte. In der Zwischenzeit hatten Advokaten, Nachrichtenschreiber7 und Bildboten8 ihre Arbeit aufgenommen und sich auf die Seite der Anwohner des tūbenwec gestellt, die ihre Altersvorsorge nicht kampflos aufgeben wollten. Es kamen Hilfsangebote von diversen Seiten, die Merry Men gründeten eine Bürgerinitiative. Alsbald sprach sich der Rat der Stadt Lake für die Abschaffung der Straßenbaubeiträge aus — doch  aufheben konnte er sie nicht. Dennoch stärkten Little John und Will Scarlet der Initiative den Rücken. 

 

Wenig später begab es sich, dass der Fürst von Lake verlauten ließ, er sei der Meinung, dass derjenige bezahlen müsse, der eine Leistung bestellt. Das klang nach dem Geschmack der Anwohner, war er doch derjenige gewesen, der – Moment. 

Noch bevor sie sich die Hände auch nur einmal gerieben hatten, klärte sich auf, dass der Fürst nicht seine Untertanen in Histincfeld meinte, sondern sich selbst. Der große Bund hatte ihm ins Stadtsäckel greifen wollen, für etwas, auf das er keinen Einfluss hatte. Das machte den Fürsten zornig und er tat seinen Unglauben kund. Die Anwohner des tūbenwec neigten ihre Köpfe zur Seite, zogen ihre Nasen kraus und ergingen sich in einem kollektiven „Hä?“

 

Es wirkte als hätten der Fürst und der oberste Baumeister – immerhin ein Mann vom Fach – zweierlei Maß hergenommen, um vergleichbare Situationen zu beurteilen.

 

Schon eilten ihre Gesellen herbei und machten Nota, erklärten Gesetz und Recht, Konnexitätsprinzip und Föderalismus. Mehr oder weniger beeindruckt nickten die Anwohner gemeinschaftlich und atmeten tief ein und aus. Ein Spiel auf Zeit gewinnt man entweder mit langem Atem oder als bester Sprinter und so kehrten sie in ihr Lager zurück, um sich Stärke und Reaktionsvermögen anzutrainieren.

 

Erneut verging nicht viel Zeit und der Sheriff von Nottingham oberste Baumeister machte von sich reden, als er verkündete, eine andere Straße in Lake verschönern und sanieren zu wollen. Die, die an der Burg des Fürsten von Lake vorbeiführte, wo die Mächtigen, die Reichen und Schönen der Stadt hausten, das Stadthaus gerade umgebaut wurde und man in den Pausen zwischen Steuereintreibung und Stadtplanung am Ententeich die hohe Aufenthaltsqualität des Parks genoss.

 

Was der Landeshauptstadt ihre Allee des Königs war, sollte im kleinen Lake nun zumindest zum Fürstenboulevard reichen. Der Clou: Das alles sollte zu Lasten von Fördertöpfen und des Stadtsäckels gehen.

 

Solidarisch freuten sich die Anwohner des tūbenwec natürlich auf der einen Seite mit denen der Althoffstraße, an denen der Kelch nun vorüber ging. Aber wieder schien der Mann vom Fach sich nach Gutsherrenart im Maß vergriffen zu haben, legte er beim tūbenwec nach wie vor Recht und Gesetz an, versprach er den Herrschaften an der Althoffstraße sich zügig darum zu kümmern, dass man für die Bürger der inneren Stadt andere Wege fände.

 

Vor den Toren von Lake, genauer gesagt in Histincfeld, fühlte man sich ab diesem Moment mittelalterlichem Gutdünken ausgesetzt, da die Althoffstraße – im Gegensatz zum tūbenwec – pfleglich behandelt und instandgehalten worden war. Zu einer Situation wie bei ihnen hatte es dort gar nicht kommen können. Und so kam wieder einmal9 das Gefühl auf, dass man außerhalb der Stadtmauern doch Bürger zweiter Klasse war und blieb.

 

Zu Robin Hood gesellte sich an diesem Tag Bruder Tuck, um den Anwohnern des tūbenwec beizustehen und mit ihnen für eine solidarische, faire Lösung zu kämpfen.

 

 

 

Wie das Märchen ausgeht?

 

Wir atmen weiterhin tief durch. Nicken, stellen Fragen, erheben Einwände, setzen Zeichen. Denn: Es ist noch nicht vorbei!

 

 

  

 

1  das heutige Dinslaken

2  das heutige Hiesfeld

3  die heutige Taubenstraße

4  Euro

5  KAG

6  Bund der Steuerzahler

7  diverse Zeitungen

8  der WDR

9  Zur Angelegenheit um das Freibad

ist man hier gespaltener Meinung,

aber besonders toll findet es niemand,

dass es keines mehr in Hiesfeld geben soll.

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Lilo Wallerich (Montag, 15 Juli 2019 16:12)

    Wunderbar geschrieben. In den Märchen sorgen Feen, Zauberer �‍♂️ und Kobolde für Recht und Ordnung. �‍♀️�‍♂️��‍♀️ Leider sind in Dinslaken keine sogenannten Kümmerer zu ständig. Die Märchen beginnen: „Es war einmal „ und enden: „Und wenn sie nicht gestorben sind...“ ����
    Bürgerinnen und Bürger müssen weiter für Gerechtigkeit kämpfen und dem Amtsschimmel ein Schnäppchen schlagen.��‍♀️�