Laufen verbindet. Besonders dann, wenn es für den guten Zweck ist.
Wie aus einer Idee ein großartiges Projekt wurde, das Familien mit behinderten Kindern ein kleines Stück vom großen Glück beschert und wie sich das anfühlt
...
„Lauf für die Liebe“. Was sich im ersten Moment anhört wie Speed-Dating im wörtlichen Sinne, ist in Wirklichkeit ein Charity-Lauf zugunsten behinderter oder von lebensverkürzenden Krankheiten betroffener Kinder und ihrer Familien.
Organisiert werden diese Veranstaltungen vom Verein Kidsvision Germany e.V. unter Beteiligung vieler Ehrenamtlicher und weiterer Vereine. In nunmehr fünf Jahren kommt Kidsvision auf vier Läufe mit insgesamt mehr als 1.000 Teilnehmern. Die dabei gesammelten ca. 25.000 Euro kamen 9 Kindern zugute – eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.
Warum gerade diese Kinder?
Man könnte meinen, dass Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten und/oder Behinderungen die beste medizinische Versorgung, Top-Hilfsmittel und alle möglichen Kuren und Rehabilitationen bekommen, wenn sie in Deutschland kranken- und pflegeversichert sind. Die Pflegekassen sind allerdings gesetzlich dazu angehalten, die „Wirtschaftlichkeit“ ärztlicher Verordnungen zu prüfen, ganz wie bei Erwachsenen. Und genau wie bei Erwachsenen, werden auch bei Kindern Leistungen gekürzt, wo es den Kassen sinnvoll erscheint und alle anderen Beteiligten nur den Kopf schütteln. Nicht immer sind Widersprüche und Klagen erfolgreich, manche Dinge sind jedoch schlicht nicht Bestandteil des Leistungskataloges.
Die Delfintherapie zum Beispiel.
Seit mehr als 20 Jahren erfolgreich etabliert, ist der Nutzen dieser Therapie mehrfach wissenschaftlich erforscht und in weiten Teilen belegt worden, sowohl für die Kinder selbst als auch für die Familiengesundheit. Was sich wie gesponserter Urlaub liest und vielleicht anhand von Bildern auch auf den ersten Blick so scheinen mag, ist für die Kinder und ihre Angehörigen neben einer gewissen Entspannung und der Abwechslung zum Alltag vor allem eines: anstrengend. In der Regel verbringen sie zwei Wochen in den Rehazentren, welche die tiergestützte Therapie anbieten. Davon machen die täglichen vier Stunden im Wasser aber nur den geringsten Teil der Anwendungen aus. Für jedes Kind wird ein ganzheitliches Konzept gesteckt, um die vorhandene Zeit möglichst intensiv und gewinnbringend zu nutzen.
Ganz unumstritten ist die tiergestützte Therapie nicht; immerhin werden die Delfine dazu in Reservaten gehalten und arbeiten für ihren Lebensunterhalt. Auch die Konzepte der jeweiligen Anbieter sind sehr unterschiedlich, da sie überwiegend auf eigenen Erfahrungen aufsatteln.
Wer aber auch nur zwei, drei Erfolgsberichte liest, wird vermutlich schnell zum Taschentuch greifen müssen. Wenn Kinder mit sieben Jahren plötzlich auf Ansprache reagieren, wenn das Mädchen mit zehn Jahren das erste Wort spricht oder der Fünfjährige das erste Mal auf eigenen Beinen steht, ist das nicht nur für die Eltern ein besonderer Moment. Er ist oft ein Wegweiser für die weitere Entwicklung. Zu verdanken ist das dem Einsatz der Angehörigen, den tierischen wie menschlichen Therapeuten und in einigen Fällen eben Vereinen wie Kidsvision und ihren Spendern. Jedoch nicht den Kranken- und Pflegekassen, die um die Finanzierung solcher Fortschritte einen großen Bogen machen. Immerhin geht es hier um Kosten zwischen 10.000 und 25.000 Euro.
Wie fühlt es sich an, wenn man sein Kind fördern möchte, aber es am Geld zu scheitern droht?
Als ich diese Frage Silvano Bedrina stelle, lacht der Zwillingsvater herzlich und sagt: „Wir haben uns im Vorfeld gar nicht damit auseinandergesetzt, dass so was für uns überhaupt möglich sein könnte.“ In greifbare Nähe rückte das Thema Delfintherapie erst, als sie überraschend in die Auswahl für eine Spendenaktion kamen, nominiert durch einen Freund der Familie. „Man muss sich dann erst mal von dem Gedanken freimachen, ob man das Geld überhaupt annehmen kann. Als Eltern muss man seinen Stolz zurückstecken und an die Kinder denken, um ihnen das zu ermöglichen.“ Offenbar eine der besten Entscheidungen seines Lebens; seine Söhne Noah und Leon sind heute zwanzig Jahre alt und haben, trotz schwerster Behinderungen, alle Erwartungen an Lebensqualität und Selbstbestimmung übertroffen. Bedrina ist sich sicher, dass dies auch unmittelbar mit den Delfintherapien 2008 und 2011 zusammenhängt. „Man kann sich nicht vorstellen, welche Kraft die Kinder daraus ziehen. Das muss man erlebt haben.“
Warum aber Einzelförderung?
Natürlich erreicht man mehr Menschen anteilig, wenn man die Spenden bspw. an Fördervereine von Schulen für körperliche und motorische Entwicklung weiterleitet oder entsprechende Sportvereine unterstützt. Kidsvision unterstützt aber bewusst die „Einzelfälle“, da diese durch ihre individuelle Situation keine oder kaum weitere Möglichkeiten haben, auf sich aufmerksam zu machen und entsprechende Mittel zu generieren.
Für die Familien sind die von Kidsvision geförderten Zuschüsse zu Therapien oder Hilfsmitteln eine große Erleichterung. Zwar können viele von ihnen Budgets für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen, aber diese sind an bestimmte Voraussetzungen geknüpft und dürfen nicht zweckentfremdet werden. Braucht also bspw. ein Kinderrollstuhl zusätzliches Equipment, welches die Kasse nicht übernimmt, müssen die Angehörigen in die eigene Tasche greifen. In vielen Fällen gibt es aber in den Familien nur noch einen Verdiener, da Pflege und Betreuung eines beeinträchtigten Kindes ein Vollzeitjob sind. Das Pflegegeld federt da oft nur ein Minimum ab und für Zuzahlungen im vierstelligen Euro-Bereich fehlen den Familien dann schlicht und einfach die Mittel.
Vierstellige Summen als Zuzahlung?
Die Kassenleistung enthält in der Regel nur die Basics einer Hilfsmittelversorgung. Das Kind kann nicht laufen? Es bekommt einen Rollstuhl. Mit Sitz. Und Lehne.
Kann das Kind selbst greifen und den Rollstuhl steuern, sind auch Antriebs- und Steuerungskomponenten von der Kasse zu übernehmen. Kann es das noch nicht, sondern soll an diese Fortbewegungsart erst herangeführt werden, ist das Dilemma groß. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) muss dann entweder nach Aktenlage oder in einem persönlichen Termin Stellung dazu nehmen und entweder die Kostenübernahme dieses Extras befürworten oder davon abraten. Oft wird hier aber nicht darauf geachtet, welches Potential das Kind hat bzw. was es erlernen kann, sondern nur, was es bereits beherrscht. Die Frage, wie es etwas lernen soll, wenn es nicht ständig damit arbeiten kann, darf gern gestellt werden, bleibt aber oft unbeantwortet.
Ein Rollstuhl für bspw. ein siebenjähriges Kind kostet in der Regel zwischen 6.000 – 8.000 Euro, je nach Ausstattung und Anforderungen auch mehr. Das oben erwähnte Element für Lenkung und Antrieb macht dabei ca. 2.000 Euro aus, die im schlechtesten Fall von den Eltern aufgebracht werden müssen.
Mit einem Rollstuhl allein ist es oft nicht getan.
Rollstühle sieht man im öffentlichen Raum, daher hat man schnell eine Vorstellung davon, dass diese notwendig sein können bzw. sind. Kinder mit Beeinträchtigungen brauchen aber oft noch viel mehr Hilfsmittel, um ihren Alltag zu gestalten. Ein kindgerechtes Pflegebett, Lauflernhilfen, Stehständer, Vitalwertüberwachung, Toilettensitze, Hilfen zur Unterstützenden Kommunikation (sogenannte Talker) sind die größten Einzelposten. Aber auch Orthesen (Schienen, die u. a. bei Spastiken notwendig sind), Spezialschuhe, Inhalatoren, Lagerungskissen und spezielle Autokindersitze summieren sich.
Für ein Kind kommen da schnell 20.000 – 40.000 Euro zusammen, um es erstmalig mit dem Nötigsten auszustatten.
Übrigens: Nicht alle Hilfsmittel wachsen mit, was bedeutet, dass sie nur für wenige Jahre benutzt werden können, bevor sie gegen größere ausgetauscht werden müssen. Über die Zeit kommen also auch bei den Zuzahlungen fünfstellige Summen zusammen, die viele Familien schlicht und ergreifend nicht aufbringen können.
Daher verzichten sie oftmals darauf, ihrem Kind die Möglichkeit zu bieten, etwas zu erlernen oder auszuprobieren, wenn nicht durch Spenden der fehlende Betrag gedeckt werden kann.
Die hier gezeigten Hilfsmittel sind nur ein kleiner Einblick in den Bedarf eines schwerstmehrfachbehinderten Kindes. Zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte sind die Bilder ohne das Kind entstanden. [Die Aufkleber geben nicht unbedingt den Gesamtpreis wieder. Hinzu kommen u.a. Montagekosten und Zubehör.]
Hier setzt Kidsvision an
Familien mit beeinträchtigten Kindern können jederzeit auf der Homepage nominiert werden und erhalten dann Besuch vom Auswahlkommittee. So stellt Kidsvision sicher, dass die Spenden nicht an eine anonyme Adresse gehen, sondern dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Reinhard Kramer über die bisherigen Projekte: „Wir waren maßgeblich an der Realisierung eines behindertengerechten Bades beteiligt, die Finanzierung eines behindertengerechten Autos konnte angeschoben werden, die Ausbildung eines Behinderten-Begleithundes, eine Reittherapie sowie die Anschaffung und Installation physiotherapeutischer Geräte für zu Hause konnten realisiert werden."
Ja, wo laufen sie denn nun?
Der eigentliche Lauf wird mithilfe von Ehrenamtlichen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Beine gestellt.
Ist eine Familie gefunden, die der Unterstützung des Vereins bedarf, wird ein Datum auserkoren und das Orga-Team beginnt mit den Vorbereitungen. Veranstaltungsort buchen, Sponsoren, Helfer und Lieferanten informieren sowie Anmeldungen und Öffentlichkeitsarbeit vorbereiten. Und auch: trainieren. Denn die Läufe über 5 und 10 Kilometer unterliegen zwar keiner offiziellen Zeiterfassung, aber schaden kann es ja nicht. Besonders ehrgeizig sind übrigens die Bambinis auf der 400-Meter-Strecke. Die machen ihren Eltern manchmal ganz schön was vor.
Ein Lauf für die Liebe besteht allerdings nicht nur aus ein paar gejoggten Runden im Kreis und einem großen Scheck. Kaffee, Kuchen, Würstchen und Getränke ermöglichen auch den Nicht-Läufern an diesen besonderen Events teilzunehmen. Gute Stimmung kommt da von ganz allein auf – insbesondere, weil auch dieser Erlös an die begünstigten Familien geht.
Das einzige, was es an diesem Tag nicht gibt, sind Berührungsängste. Generell bemüht sich Kidsvision, diese abzubauen und Kindern mit Behinderungen nicht nur gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, sondern sie auch ins rechte Licht zu rücken und ihnen eine Stimme zu geben. Davon profitieren alle.
Videodokumentation von Kai Dauvermann zum zweiten Lauf für die Liebe anno 2015, bei dem die Familie Bedrina Spenden für eine Delfintherapie erhielt.
So ein Tag, so wunderschön wie …
… der Tag, an dem der Lauf stattfindet, kommt selten vor im Leben behinderter Kinder und ihrer Familien.
Die guten Anmeldezahlen ließen bei Familie Bedrina seinerzeit Hoffnung auf eine hohe Beteiligung aufkommen. Die Eltern waren in die Organisation eingebunden und schon früh am Veranstaltungsort, als sich plötzlich Regen anbahnte. Dennoch füllte sich der Parkplatz am Rotbachsee zunehmend und 150 Läufer meldeten noch am Morgen nach. „Das alles machte einen Heidenspaß, das ging runter wie Öl!“, freut sich Silvano Bedrina noch heute, wenn er an die vielen Menschen denkt, die er beim Lauf für die Liebe 2015 kennengelernt hat. „Ich quatsch ja sonst viel, aber über diese große Hilfsbereitschaft war ich sprachlos. Besonders in dem Moment, als mehrere Schulkollegen auf uns zukamen, die ich dreißig Jahre nicht gesehen hatte, und die extra für unsere Söhne dorthin gekommen waren, um zu laufen und zu spenden.“
Als er davon erzählt, merkt man ihm die Rührung auch Jahre später noch an, vor allem aber sein Engagement. Bedrina ist inzwischen selbst Teil des Orga-Teams. „Ich will jetzt was zurückgeben“, sei der Gedanke gewesen. Und das tut er, auch bei der Entscheidung, welches Kind gefördert werden soll. „Wichtig ist, dass der Elternwille da ist, das Erlernte auch zu Hause fortzuführen. Sonst haben die Kinder nichts davon, sich zwei Wochen lang anzustrengen.“ Er weiß schließlich, wovon er spricht.
Wer steckt hinter Lauf für die Liebe?
Initiiert wurde 2014 der erste Lauf für die Liebe von Roland Donner, der als Olaf Overbiss bekannt ist. Ein Jahr später gesellte sich Reinhard Kraemer dazu und es ergab sich die Kooperation mit dem Verein Kidsvision e.V., um das Projekt langfristig mit Liebe und Leben zu füllen. Beide sind ambitionierte Sportler und lassen es sich nicht nehmen, selbst mitzulaufen. Inzwischen wird Kidsvision von vielen Firmen, Selbständigen, Freiberuflern und anderen Vereinen unterstützt.
„Man sieht ja sofort, wo das Geld hinkommt und vor allem: dass es ankommt“, sagt Roland Donner.
Das sei für viele Unterstützer einer der Hauptgründe, sich zu engagieren. Kurze Wege, transparente Spendenverwendung und Aufmerksamkeit für den guten Zweck sind die Prämissen des Vereins. Dass nebenbei auch noch die Lust am Laufen gefördert wird, ist ein schöner Nebeneffekt.
Und es ist keineswegs makaber, dass ausgerechnet ein Charity-Lauf denen hilft, die selbst nicht laufen können. Im Gegenteil: Laufen verbindet.
Wer sich bei Lauf für die Liebe anmeldet, wird sich außerdem schnell eines seiner größten Privilegien bewusst: Gesundheit. Eine Win-win-Situation.
Nach dem Lauf ist es nicht vorbei
Kidsvision hält Kontakt zu den Familien, begleitet den weiteren Werdegang und freut sich mit ihnen über die gemachten Fortschritte. Und nach dem Lauf ist vor dem Lauf! Um weiterhin beeinträchtigen Kindern die Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten und für mehr Teilhabe zu sorgen, läuft hinter den Kulissen bereits die Planung für den nächsten Lauf für die Liebe. Immer wieder angespornt von den großen und kleinen Erfolgen.
Der nächste Lauf findet am 01.09.2019 in Dinslaken statt, die Anmeldung dafür ist ab sofort möglich.
Das Spendenkonto ist übrigens ganzjährig in Betrieb und darf gern gefüttert werden. Da es sich um einen als gemeinnützig anerkannten Verein handelt, sind Spenden unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich absetzbar.
Für weitere Informationen/Zuwendungsbestätigungen bitte den Verein kontaktieren.
Die Logos "Lauf für die Liebe" und "Charity-Lauf mit Olaf Overbiss" durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Vereins verwenden.
Kommentar schreiben