Och nö, schon wieder so viel zu lesen?
Boah, dann geh doch zu TikTok! Ich tanze euch das hier ausformuliert vor – lasst es euch halt vorlesen, wenn ihr wollt:
Am 8. September fragte ich in der lokalen Facebook-Gruppe, was die dortigen Mitglieder für DAS Wahrzeichen Dinslakens halten. Oh Lord, wenn ich geahnt hätte, was passiert, hätte ich das anders formuliert oder ganz gelassen.
Der Großteil der Antworten drehte sich um Bauwerke und Institutionen. Förderturm, Burg, Burgtheater, Trabrennbahn, Glockenspiel … Jap. Alles Objekte mit Wiedererkennungswert, die charakteristisch für unsere Stadt sind. Liste angelegt. Schreddergeldbilder geplant.
Und dann zauberte jemand einen Hasen aus dem Hut
Es begann mit: „Der rote Hase aus dem Bergpark..... #Scherz“ Also nicht irgendeinem rotfelligen Hasen, sondern dem „Hase[n]“ von Thomas Schütte. Die vier Meter hohe, knallrote Skulptur, die im Bergpark steht. Bisher hatte ich ihn nur einmal aus der Ferne betrachtet und schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Dass er ein Aufregerthema ist, war mir nicht bekannt. Unbewusst hatte ich also in ein Wespennest gestochen.
Ein paar Meinungen
„… ob der ‚Teufelshase‘ nun wirklich als Kunst bezeichnet werden kann? Ich bin jetzt mal absolut ehrlich. Für mich ist das teurer, sinnloser, überflüssiger Mist. Natürlich denkt so mancher anders darüber.“
„Ich sage immer der ‚Rote Teufel‘. Das Ding ist potthässlich.“
„Hätte es nicht ein übergroßer Bergmann mit alter Wetterlampe getan, der in der anderen Hand ein paar Blumen hält? Oder sowas Ähnliches eben ... […] Mich wirst du mit keinem Argument umstimmen können. Das ‚Ding‘ ist an so einem historischen, ehemaligen Industriestandort völlig fehl am Platze, egal was der Künstler damit ausdrücken will.“
„Selbst ein Picasso wäre in DINtown erst mal unten durch... Stadt im Grünen, Lebensmitteltheke von Hertie... es leben die guten alten Zeiten und was kümmert uns die Welt.“
„[…] deshalb ist jedes moderne oder künstlerisches Denken in DIN Perlen vor die Säue ...“
Viele Kommentare und Messenger-Nachrichten auch ehemaliger Bergleute der Zeche Lohberg schwelgten in Nostalgie; verbunden mit dem Wunsch, einen Ort der Erinnerung zu haben. Das kann man künstlerisch natürlich auch umsetzen, wie bspw. durch den Kohlestein von Jakob Kolding, der auf demselben Gelände ein Zuhause hat. Oder der riesigen Grubenlampe auf der Halde in Moers (ganz andere Umstände). Dinge mit direktem Symbolcharakter sind greifbar, einfacher zu erfassen. Mit dem Hasen muss man sich auseinandersetzen [wollen]. Ich will ihn hier auch gar nicht schönreden, allenfalls Verständnis dafür wecken, warum er da steht, wie er da steht.
Schlagen wir aber noch kurz einen Haken …
… nach Duisburg. Dort steht der Lifesaver-Brunnen, mit einer Skulptur von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely. „Pleitegeier“ und „hässlicher Vogel“ wird er von manchen genannt, „völlig deplatziert“ und „eine Schande“. Seit 1993. Beide Künstler sind inzwischen verstorben, Hohn und Spott hallen nach. Aber: Es gibt auch andere Stimmen, die mittlerweile gefühlt in der Überzahl sind. Der Brunnen ist ein sehr beliebtes Fotomotiv, ziert Postkarten und Souvenirs, Duisburger (ich kenne genügend von ihnen, so dass ich mir erlaube das hier zusammenzufassen) nennen ihn „unser Brunnen“, „unser Vogel“ und der „Pleitegeier“ kommt ihnen eher ironisch über die Lippen. Kunst im öffentlichen Raum hat es also nicht nur bei uns nicht leicht. Entweder wird sie übersehen, wie – um noch kurz in Duisburg zu bleiben – die Emaille-Bilder des (ebenso wie Niki de Saint Phalle) weltberühmten Künstlers Gerhard Richter in der U-Bahn oder sie wird beschmiert, verachtet, geringgeschätzt. Ja, natürlich gibt es auch positive Stimmen, Freude über Kunst zum Anfassen und Nah-Rangehen. Auf Anhieb fällt mir aber hier in der Nähe kein Kunstwerk ein, das nicht polarisiert – sei es wegen der Kosten, der Optik, Technik oder des Künstlers selbst. Vielleicht bin ich aber auch mit dem Kopf zu sehr beim Hasen. Also, zurück zu Meister Lampe nach Dinslaken. Häschen, hüpf! Stellen wir uns mal kollektiv die Frage:
Was will uns der Künstler damit sagen?
Nicht googeln! Gedanken schweifen lassen!
Der Hase steht für Fruchtbarkeit, Neuanfang (Ostern). Rot ist eine Signal- bzw. Warnfarbe, die den Betrachter zwingt, genauer hinzusehen, aufzupassen.
In der Facebook-Diskussion sagte ich:
„Ich finde den Standort irgendwie unglücklich. Wenn das Gelände ein Skulpturenpark wäre, wäre das was anderes. So wirkt er irgendwie einfach nur abgestellt. Wäre der Bergpark bereits weiter entwickelt wie bspw. das Areal Böhler in Düsseldorf, könnte man da ein Konzept hinter vermuten.“
Aber noch bevor ich mich mit dem Konzept für Dinslaken näher befasste, realisierte ich, dass dieses Alleinstellungsmerkmal auch etwas Positives hat.
Man fragt sich: „Was macht der da? Wie ist er in die Mitte dieses Beckens gekommen? WTF?“ Und schon ist man in der Auseinandersetzung mit der Skulptur.
Aber wir sind hier nicht in Düsseldorf, Kassel oder Wien!
Überraschung: Wir sind in Dinslaken, richtig. Wir haben hier Bergwerkhistorie, Zechenkultur und sind eher Mittelstand als High Society. Der Hase ist für alle da. Deswegen ist er rot und nicht golden. Behaupte ich. Der Hase ist für Dinslaken geschaffen worden, für Dinslakener.
Aber warum?
Darf ich die Frage später beantworten? Ich verspreche auch, dann zu erzählen, wie teuer er war. Ehrlich! – Danke.
Häschen in der Grube
Wie ich eingangs schrieb, hatte ich den Hasen nie aus der Nähe gesehen, weil er mich offen gestanden einfach nicht gejuckt hat. Als er seinerzeit installiert wurde, gehörte ich zu den Betten-Dinslakenern. Hier schlafen und Steuern zahlen, Arbeiten und Geld ausgeben in Ruhrgebiet-City. War mir also wumpe das Ding. Wie es sich aber gehört, wenn man über etwas schreibt, sollte man sich ein möglichst präzises Bild davon machen. Also bin ich freitagnachmittags in Beverly Hiesfeld losgedackelt, um mir den Hasen in natura anzusehen.
Den Bergpark zu Fuß zu erkunden erlaubte mir, langsam und mit Bedacht das ganze Areal von einer neuen Seite kennenzulernen, wie mit den Augen eines Fremden. Ich bog also an der Feuerwache in den Weg ein und hielt schon mal Ausschau nach dem Hoppeltier. Wenn man weiß, wo er steht, kann man ihn erahnen. Wenn man es nicht weiß, hat man fast keine Chance, es sei denn, man trifft auf einen Einheimischen, den man fragen kann. Es gibt nämlich keine Schilder im Bergpark. Weder Wegweiser, noch Infotafeln, noch Plaketten. Ich dachte erst, ich hätte sie alle übersehen. Es sind aber einfach keine da. Schilder sind oft und gern Opfer von Vandalismus, aber für jemanden, der sich null auskennt und rantasten will, empfinde ich das als schwierig und offen gesagt: ungastlich. Klar, man kann hier frei schwadronieren, wo keine Zäune sind, darf gegangen und geglotzt werden. Aber wie soll man denn den nachgebauten Flöz einordnen, wenn man nie zuvor im Leben einen gesehen hat? Sieht schick aus, aber was ist das?
Die riesigen Metalltafeln, auf denen die Meilensteine der Zeche Lohberg verewigt sind, sind großartig. Nur leider auch die einzigen Hinweise. Gedanklich macht das den Park unnötig schwer zugänglich.
Apropos schwer zugänglich
Als ich vor dem wasserlosen Becken stehe, fällt mir auf, dass die obere Etage, also der Rundlauf um den Hasen, nicht barrierefrei ist. Schade.
Auch hier fand sich trotz intensiver Suche kein Hinweis auf den Namen der Skulptur, den des Künstlers und das Jahr der Errichtung. Auch nicht in Braille. Für gewöhnlich sind Förderer und Sponsoren ja [zu recht] ziemlich scharf drauf, ihre Logos und Namen an einem Kunststück verewigt zu sehen – auch hier: Nada. Niente.
Vielleicht ist es Teil des Konzepts oder Wunsch des Künstlers. I don’t know. Genauso wie ich nicht weiß, ob es Absicht ist, dass das Becken von außen teilweise zugewachsen ist. Ich persönlich finde die Optik ganz cool; die Natur holt sich ein Stück ihrer selbst zurück, aber man erkennt dennoch, was Menschenhand erschaffen hat. Nur leider liegt im Becken ziemlich viel Müll, das Gras wächst durch die Treppen, so dass ich nicht unbedingt scharf drauf bin, dort hochzugehen. Zwischen wildromantisch und ungepflegt ist es ein schmaler Grat, der hier leider dazu führt, dass der Abseitsstandort nicht dazu einlädt, ihn zu betreten. Eine verschenkte Chance, wie ich finde.
Na, also! Sagen wir doch alle die ganze Zeit!
Hm.
Als ich mich während meines Streifzugs umgesehen habe, war es im Bergpark ziemlich voll. Wie geschrieben: es war ein Freitagnachmittag, sonnig und warm, Spätsommer halt. Der Spielplatz war gut besucht, sehr viele Fahrradfahrer und Gassigänger unterwegs. Den Hasen hatte ich für mich allein. Wer mich passierte, beachtete ihn nicht oder guckte allenfalls ausdruckslos. Eigentlich hatte ich erwartet, dass wenigstens die kleineren Kinder auf dem Weg vom oder zum Spielplatz einen näheren Blick riskieren würden. Auf die Empore stürmen und um den Hasen herumlaufen würden. Sich überhaupt damit auseinandersetzen würden. Schließlich ist das ein vier Meter großer roter Klotz – egal, was er darstellt, Kinder finden das doch interessant!? Na ja, vielleicht beim ersten und zweiten Mal, wer weiß, wie oft die schon da waren. Vielleicht hat Mama aber auch verboten, dort hochzugehen, weil die wackligen Zäune davor wenig Vertrauen schenken und das eben schon angesprochene Gras nicht darauf schließen lässt, wie sicher die Anlage ist.
Jaaaa-haaa, das sagen wir doch die ganze Zeit, ey!
Na gut, dann gucken wir mal nach, was uns der Hase sagen soll, wie er dort hingelangte und warum wir nicht gefragt wurden, ob wir ihn wollen. Antworten gibt das Buch „Choreografie einer Landschaft“ von Markus Ambach, seines Zeichens Kurator des Projekts. Im Folgenden werde ich immer mal wieder mit Zitaten aus diesem Buch arbeiten und diese in Anführungszeichen und/oder kursiv schreiben, um meine Meinung davon optisch abzugrenzen.
Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?
Als das Bergwerk Lohberg 2005 geschlossen wurde, war für die RAG Montan Immobilien GmbH und die Stadt Dinslaken klar, dass dieses Gelände ein Rohdiamant ist, den man mit einem langfristigen und zukunftsorientierten Plan zu schleifen gedachte. Wir gehen jetzt zurück in die Zeit, in der damit begonnen wurde, 2011-2015.
Prof. Hans-Peter Noll von der RAG erkennt damals zwei Dreiklänge, die Lohbergs Alleinstellungsmerkmal sind (S. 5). Der „inhaltliche Dreiklang aus Kreativität, Energie und Landschaft“ sowie „der räumliche Dreiklang aus Stadtteil, dem ehemaligen Zechengelände und der Haldenlandschaft“. Er meint damit, dass man diese Elemente nicht losgelöst voneinander betrachten darf, wenn man einen ganzheitlichen Plan entwickeln will, der alle und alles mit einbezieht.
Was das mit Kunst zu tun hat?
Dr. Michael Heidinger sagt im Grußwort (S. 4): „So ist die Idee, für Lohberg die Entwicklung als Kreativ.Quartier mit einem hohen Anteil an Kunst zu formulieren, auch das Ergebnis einer konsequenten Auseinandersetzung mit der Geschichte des Standorts.“ „Der Bergbau war nämlich nie eine kunstfreie Zone, wie es viele glauben.“ Die Kunst liegt dabei zwar überwiegend in architektonischen Elementen, aber auch in der „Förderung der bergmännischen Kultur“.
Kurator Markus Amberg will die Fragmente der zergliederten Landschaft miteinander verknüpfen, räumlich und kulturell (S. 19).
Um also Lohberg nicht einfach etwas Neues überzustülpen, das weder zu den Menschen noch in die Landschaft passt, entschied man sich für Konzept der „Choreografie einer Landschaft“. Wobei Choreografie hier keine einstudierten Tanzschritte zu Hip-Hop-Beats meint, sondern die künstlerische Gestaltung eines vorerst Lost Place.
Um die „regionale Depression um[zu]kehren“, die entsteht, wenn eine Zeche schließt und nicht nur Arbeitsplätze verloren gehen, sondern man den Leuten auch ein Stück ihrer Identität nimmt, wie es Ruth Reuter und Bernd Lohse von der Projektleitung KQL beschreiben (S.6).
Wichtig ist allen Beteiligten, die Bewohner einzubinden. Dies wird mehrfach betont, schließlich „setzt der gesamte Entwicklungsprozess des Projekts Maßstäbe für Transparenz“ (S. 6).
Um den eigenen Anforderungen gerecht zu werden, wurde dazu ein Werkstattverfahren eingesetzt, in dem zuvor vom Kurator ausgewählte Künstler den Stadtteil und seine Bewohner hautnah kennenlernen konnten. Es gab dazu im Mai 2012 Gespräche mit Anwohnern, insbesondere auch ehemaligen Zechenarbeitern (S. 52), sowie eine Debatten- und Vortragsveranstaltung (S. 48). „Für die Künstler von Interesse war auch die Perspektivlosigkeit des Orts in Bezug auf Arbeit und Beschäftigung“ sowie der vielschichtige Heimatbegriff (S. 53).
In diesem Verfahren sollte aber kein Wettbewerb entstehen, sondern ein Fundus. Alle Ideen sollten gespeichert werden, da sie für Lohberg entstanden sind. Auch wenn also nicht jeder Vorschlag angenommen und sofort umgesetzt werden konnte, behielt man sich die Möglichkeit vor, diese noch zu einem späteren Zeitpunkt zu realisieren.
So, ich fasse kurz zusammen: Es gab die Möglichkeit, sich zu informieren, was da passieren soll. Ich weiß nicht, wer genau und wie viele Menschen in Lohberg befragt worden sind, aber die Bilder vom gemeinsamen Essen in der Moschee und den Streifzügen der Künstlergruppe durch Lohberg verraten, dass man das „nicht mal eben“ abgewickelt hat.
Eine der Kernfragen, die sich die Werkstattteilnehmer gestellt haben war: „Wie viel Erinnerung braucht der Mensch?“ Radikaler Schnitt, um dem Bedürfnis nach einem Neuanfang nachzukommen oder „Diskurs der Dekaden“, der der Geschichte und Zukunft gleichermaßen Raum lässt? (S. 57)
Wer sich also nun in seiner Erinnerungskultur gestört fühlt, wem da nur noch zu wenig Bergbau sichtbar ist, dem muss ich leider bescheiden: War Absicht. Irgendwie. Man hat sich halt an der ein oder anderen Stelle bewusst dagegen entschieden, ein Bergbaumuseum aus dem Areal zu machen.
Etwas deutlich wird der Grund dafür in einem weiteren Beitrag von Ruth Reuter und Bernd Lohse, die Kunst in den Zusammenhang mit Stadtplanung bringen. „Wird Kunst nicht selten als unverständlich um vom Alltagsleben abgehoben wahrgenommen, prägt sie gleichzeitig das Leben und das Miteinander der Menschen.“ (S. 62) Ich übersetze: Man war sich des Risikos durchaus bewusst, dass man nicht mit allen Umsetzungen auf Gegenliebe stößt, wollte aber beweisen, „dass das sowohl mit den Attributen ‚abstrakt‘ oder ‚abgehoben‘ belegte Künstlerische durchaus sehr konkret und reell gehandhabt werden kann.“ (S. 62) Der Prozess der gemeinsamen Entwicklung sollte Akzeptanz schaffen. „Dient Kunst nur als nachträgliche Dekoration eines fertigen Raums, ohne Bezug zum planerischen und örtlichen Kontext, ist sie lediglich eine Art drop sculpture, eine ‚abgeworfene Skulptur‘, wie es dieser Fachbegriff prägnant auf den Punkt bringt.“ Merkt euch diesen Satz bitte.
Bitte.
Ich komme gleich noch darauf zurück.
Boah, Larissa, laber nich, ich will wissen, wie teuer der rote Klumpen war!
Hör mein Seufzen, verehrter Leser … Ich erkläre hier schließlich die Zusammenhänge. Dass daran Menschen gearbeitet haben, die sich etwas gedacht haben und mit guten Absichten gehandelt haben. Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht, ich weiß. Aber wer entscheidet denn über gut und nicht gut?
Denkt kurz darüber nach, macht euch ein Heißgetränk oder holt euch ein Bier, geht gleich weiter.
Hier bitte eloquente Überschrift denken
Nachdem die Künstler also Lohberg kennengelernt, miteinander gearbeitet und das Diskussionsforum bereichert hatten, kehrten sie in ihre Ateliers zurück und legten später ihre Entwürfe dem Fachbeirat vor, der sich aus Museumskuratoren, Kunsthistorikern und weiteren Vertretern der Kunsttheorie und -praxis zusammensetzte. Eine Jury, die sich mit den Arbeiten und dem Konzept auseinandergesetzt hat, um aus dem Fundus die ersten Vorschläge zur Realisierung zu empfehlen. Sprich: zu entscheiden, was als erstes gebaut wird und was man sich für spätere Zeiten in der Hinterhand behält.
Thomas Schütte, Bildhauer aus Düsseldorf, brachte dafür den Entwurf des Hasen mit, die „Osterhase, Weihnachtsmann, Nikolaus, Halloween, Karneval, WM-Maskottchen“ darstellt (S. 82).
Alle Arbeiten und Modelle der Werkstattteilnehmer wurden der Öffentlichkeit im Museum Voswinckelshof vorgestellt, wo man sie vom 16.11.2012-20.01.2013 anschauen und sich dazu informieren konnte. Ich spare mir die Häme zu sagen: Ihr hättet ja hingehen und gucken können, aber neee, iiiih, Kunst.
Der nächste Hut, derselbe Hase
„Gleich einer drop sculpture wie aus dem Hut gezogen, taucht die Figur auf der Wiese des neuen Parks auf und hinterfragt damit ihre Sinnfälligkeit an diesem Ort angesichts der kontextbezogenen Entwürfe im Projekt.“ (S. 82)
Ich drösel euch das mal auf: Der Hase sollte „plopp“ einfach auf der Wiese hocken als sei er vom Himmel gefallen und sich selbst wundern, wie er dort hingekommen ist und was er dort macht. Nun hat man sich „nach gründlichen Überlegungen“ (S. 144) im späteren Verlauf gegen die Wiese entschieden und für das Waschwasserreinigungsbecken, gegen den Rot-grün-Kontrast und für das Zootier-Feeling.
Kennt jemand von euch den Skulpturenpark am Schloss Moyland? Dort kann man das Konzept der drop sculpture sehr gut erkennen. Warum ich das frage? Weil Thomas Schüttes ursprüngliche Idee sich so liest, als sei der Hase für einen solchen Park geschaffen. Er spricht von den „kontextbezogenen Entwürfen im Park“, deren erste Entstehungsschritte er in der Werkstatt miterlebt hat. Er hatte also eine Vision vom und für den Hasen, wie er sich in das Gesamtbild aller Kunstwerke einfügen könnte, weil er die Ideen der anderen Künstler kannte. Und das adressiere ich gerade nicht als Vorwurf, sondern finde es eine großartige Sache.
„Gegenüber den Arbeiten [...], die die Erinnerungskultur und industrielle Vergangenheit des Ortes fokussieren, nimmt die Skulptur – augenscheinlich vollkommen neu und fremd am Ort – eine dennoch kontextbezogene Aussage vor. Denn vor dem Hintergrund der Frage, wo sich angesichts der schwer lastenden Geschichte eine offene Zukunft für diesen Ort und vor allem für seine jungen Bewohner erfinden lässt, setzt die Arbeit ein leichtes wie freches, herausforderndes wie spielerisches, aktuelles wie profundes Zeichen.“ (S. 107) Ich geb’s zu, ich tu mich auch ein bisschen schwer mit der Formulierung des Realisierungsvorschlags, weil er in meinen Augen ein bisschen über den grünen Klee lobt. Andererseits, so exorbitant hässlich wie viele den Hasen finden, passt das in Relation ja dann doch wieder.
Die Kunsthistorikern Kerstin Stremmel würdigt den Hasen in einem Essay und gibt einen Eindruck wieder, den ich leider beim besten Willen absolut nicht teilen kann. „Auf Abbildungen eher zerknautscht, niedlich wirkend, entfaltet die vier Meter große Figur im Original eine beeindruckende Präsenz – zumindest die Ohren sind von fast jedem Platz im Park sichtbar – und setzt sich auch noch vor der monumentalen Kohlemischhalle souverän durch.“ (S. 146) Okay. Frau Stremmel hat das studiert. Ich nicht.
Es ziemt sich nicht, zu sagen: Ich bin kein Experte, aber …
Ich bin kein Experte, aber …
… das hier ist glücklicherweise mein Blog.
Ja. Man sieht die roten Pünktchen – also Ohrspitzen – wenn man sehr genau weiß, wohin man schauen muss. Er wirkt nicht niedlich auf mich, sondern unnahbar, verloren, gefährlich, hospitalisiert, zu weit weg. Seine Größe reduziert sich massiv durch den Abstand zum Betrachter, er büßt an Wirkungstiefe ein und setzt sich aktuell noch nicht mal gegen das Unkraut und den Müll durch.
Den Eindruck eines Zootiers im vorigen Jahrhundert gewinnt auch Stremmel, sie leitet daraus aber ab (S. 148), dass er zum Nachdenken über die Funktion von Tieren und die Funktion von Kunst anregt. Hm. Mich jetzt weniger, aber vielleicht hatte die Assoziation ja jemand von euch? Die verniedlichten Tierfiguren und kulturelle Verdrängung der Tiere werden „durch die Präsenz dieses überdimensionierten Schauobjekts […] konterkariert. […] Schüttes hasenartiges Wesen kann als anschaulicher Beleg für die Möglichkeit verstanden werden, Wut, Trauer, Energie und Witz in etwas bei aller Vertrautheit radikal Neues zu verwandeln.“ (S. 149)
Lasst ruhig mal kurz sacken den letzten Abschnitt.
Ist hartes Brot.
Ich weiß.
Ich hab das ganze Buch durchgeackert.
Eigentlich müssten jetzt Tierfreunde und Veganer den Hasen zur Pilgerstätte erklären. Ihn zu gegebener Zeit österlich mit Eiern und weihnachtlich mit Lichterketten in Szene setzen.
Und alle, denen durch die Schließung des Bergwerks und die Umwandlung in den Bergpark etwas genommen wurde, dürfen ihn als ihr Symbol ™ betrachten. Ihre Landmarke, dass auch an sie gedacht wurde. Indem die hässliche Fratze des Verlustes so wahrnehmbar gestaltet wurde. Dass die Dämonen der Vergangenheit dieses Areals nicht vergessen wurden.
Irgendwas stimmt mit Hasi nicht!
Apropos Dämonen und Teufel und so … Der Hase weist nach einigen Jahren Standzeit inzwischen diverse Macken auf, die, wie es heißt, von Steinwürfen stammen. Im Zuge meiner Recherche kam mir das Gerücht (!) unter, dass es im Koran heißt: „Wenn du den Teufel siehst, so bewirf ihn mit Steinen.“ Ich habe in einer deutschen Übersetzung danach gesucht und wurde nicht fündig. Alle Verweise gingen auf den Hadsch und die Steinigung des Teufels in Mina zurück. Keiner ließ Rückschlüsse zu, dass dies für etwaige Abbilder des Teufels gilt.
Ich wollte eigentlich noch nicht mal was zu dem Gerücht schreiben, aber da es mir seltsamerweise ausschließlich von Nicht-Muslimen zugetragen wurde, klingt es fast so, dass die Teufelssteinigung als religiöses Ritual nur als billige Rechtfertigung für Vandalismus herhalten soll und man es lieber der muslimischen Gemeinschaft in die Schuhe schieben will als sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Wer den Hasen aus welchem Grund auch immer beworfen hat, hat sich der Sachbeschädigung schuldig gemacht. So oder so: Vandalismus ist die schlechteste Form von Protest.
„Man muss den Hasen schlagen, wenn er sitzt!“ ist übrigens ein altes deutsches Sprichwort. Just sayin.
Hoppeln wir zurück zu dem Thema, das euch ja so brennend interessiert.
Watt hat dat Ding denn getz gekostet?
Am 03.12.2012 gab es unter der Beschlussvorlage Nr. 1216 des Planungs-, Umweltschutz-, Grünflächen- und Stadtentwicklungsausschusses (PUGStA) also die Empfehlung des Fachbeirats, den Hasen und vier weitere Arbeiten zu realisieren. Auch hier hätte man als [ab]geneigter Bürger Einfluss geltend machen können. In einer noch früheren Beschlussvorlage (Nr. 665) des PUGStA vom 27.06.2011 ist von der Beantragung von Fördergeldern für „Kunst im Bergpark“ beim ÖPEL die Rede. Nein, ich habe nicht Opel falsch geschrieben, ÖPEL ist das Ökologieprogramm Emscher Lippe.
900.000 € sollten bei Bewilligung bis Anfang 2015 zur Verfügung stehen. Wohlgemerkt: Nicht allein für den Hasen, sondern für alle zu realisierenden Kunstwerke, also die Anschaffung und Errichtung usw. Ende 2012 wurden dann allerdings „nur“ 700.000 € bei der ÖPEL beantragt, die Bewilligung für Anfang 2013 erwartet. Dieser vermeintliche Widerspruch liegt darin begründet, dass sich Zahlen, Daten und Fakten in der Zwischenzeit konkretisiert hatten und die genaue Kostenschätzung Grundlage zur Genehmigung der Fördermittel war.
Aus dem ÖPEL flossen entsprechende Gelder in die Stadtkasse, wie man dem Haushaltsplan 2014 und 2015 entnehmen kann. Dort erkennt man auch, dass für Kunst im Bergpark eine Summe von 339.500 € ausgegeben werden sollte, dem eine Einzahlung (durch ÖPEL) in Höhe von 271.600 € gegenübersteht, entsprechend also einer Förderung von 80 % bei einer voraussichtlichen Belastung des städtischen Haushalts mit 67.900 €. Achtung: Es geht dabei, wie ich schon mehrfach betont habe, nicht nur um den Hasen, sondern um die gesamte Maßnahme Kunst im Bergpark.
Hätte man selbst auch nachgucken können, wenn man es denn wirklich hätte wissen wollen. Aber lasst Tante Larissa ruhig mal machen. Die hat ja Zeit und genügend Buntstifte.
Planung und Realität
Erfreulicherweise war jemand, der die Beschlüsse des PUGStA kennt, so freundlich, mir zu verraten, ob das alles auch so eingehalten wurde. Eigentlich ist das nicht-öffentlich. Die folgenden Zahlen habt ihr also nicht von mir …
Die Leistungen des Kurators wurden mit 132.637,20 € (brutto) veranschlagt, für die Einzelkunstwerke lauteten die maximal bewilligten Summen:
Parkwerk max. 100.000,00 €
Kohlestück max. 10.000,00 €
Kraftwerk max. 99.000,00 €
Hase max. 162.000,00 €
In Summe beliefen sich die Kosten also auf 503.637,20 €, von denen 80 % ÖPEL, 10 % die RAG und 10 % die Stadt Dinslaken bezahlt haben. Sprich: die Stadtkasse wurde mit etwas mehr als 50.000 Euro belastet.
Und wisst ihr was? Ich lass euch jetzt mit diesen Zahlen allein. Weil ich genau weiß, dass als Antworten „Ja, aber, man weiß ja gar nicht …“ und „Trotzdem zu teuer“ und „Ich finde den immer noch hässlich“ kommen werden.
Mir geht dieses nachträgliche Gejammer nämlich tierisch auf den Sender
Ihr hattet die Möglichkeit, einzugreifen. Im Vorfeld. Habt ihr offenbar nicht gemacht. Na gut. Man kann ja nicht immer alles im Blick haben. Fair point.
Wenn euch das aber wirklich so wichtig ist, den Hasen da nicht mehr stehen zu haben, dann hebt jetzt den Arsch vom Sofa und startet eine Petition. Sammelt Geld. Redet mit dem Künstler. Dem Kurator. Dem Stadtrat. Der Verwaltung.
Ihr könnt natürlich auch darauf warten, dass es von selbst passiert. Wenn ihr eure Möglichkeiten der Mitbestimmung aber nicht wahrnehmt, dann nehmt aber auch ebenso stillschweigend hin, was andere entscheiden.
Wir haben hier – ob wir sie mögen oder nicht – schweinegeile, ja, auch teure, international anerkannte Kunst in unserem Provinznest. Und was machen wir damit? Werfen Steine drauf, lassen sie verrotten, bewuchern und geben ihr noch nicht mal ein Namensschild. Das ist weniger als das, was Zootiere im letzten Jahrhundert hatten und mir tut es, da bin ich eben doch ganz Künstlerin und kann nicht aus meiner Haut, richtiggehend weh, wenn ich das sehe. Wir wollen Kunst und Kultur nach Dinslaken und insbesondere Lohberg holen. 2021 soll KSL als KunstStandortLohberg stattfinden und den Bergpark bespielen. Verdient haben wir das nicht.
Ich wage eine Prophezeiung
Es wird nichts geschehen. Der Hase wird dort auch 2026 noch stehen und länger. Nicht mehr nur als Teil der Choreografie einer Landschaft, sondern auch als Mahnmal der Trägheit und des Desinteresses. Wenn er nicht vorher zerstört worden oder verrottet ist.
Ich prophezeie außerdem: Wir werden in Dinslaken weiterhin Menschen haben, die Hase, Hasilein oder Häschen als Kosenamen verwenden. Häslich als Portmanteau-Wort für „hässlicher Hase“ wird auf absehbare Zeit nicht als Wort in den Duden aufgenommen.
Ich nehme mal an, ihr seid jetzt immer noch unzufrieden mit der Sache und vielleicht auch mit mir. Das dürft ihr gern. Ich hab euch ja schließlich angemotzt und als faul bezeichnet.
So wie der Künstler euer Urteil ertragen muss, solltet ihr meines aber auch aushalten, ich wiederum nehme euren Ärger an.
Gern auch in den Kommentaren oder als Nachricht über das Kontaktformular.
Over and out, ich muss los, hab noch Hasenbraten im Ofen.
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Ralf B. (Freitag, 18 September 2020 17:52)
Die Reduzierung der ÖPEL Gelder resultierten daraus, das ein Kunstwerk nicht realisiert werden konnte...es sollten transparente Platten mit Pottmotive ,von hinten beleuchtet, als Landmarke auf dem jüngst gefallenen Rundverdicker installiert werden...die mangelnde Windschnittigkeit hats verhindert...
Larissa Schwarz (Freitag, 18 September 2020 17:54)
Hallo Ralf,
danke für die Erklärung! Ich hatte auch was im Ohr, dass es mit einer Nicht-Umsetzung zusammenhing, mit fehlte da aber Material zu, daher dann lieber als offene Frage stehengelassen als was Falsches geschrieben.
Liebe Grüße!
Mela Hantel (Freitag, 18 September 2020 23:10)
Ein super Beitrag.
Hat Tante Larissa super recherchiert und "zu Papier" gebracht.
Sich mit etwas auseinander setzen, was einem im Grunde nicht behagt und gefällt, und sich so reinzukommen.. Gut ab. Es hat mir Spaß gemacht tatsächlich alles zu lesen.
Deine Art zu Schreiben gefällt mir sehr gut.
Ich danke dir für die Erklärungen und Hintergründe.
So leid es mir für den Künstler tut, aber schöner ist Hasilein dadurch trotzdem nicht geworden ;)
Reinhard Claves (Samstag, 19 September 2020 06:51)
Ahoi Larissa, ein großes Lob für Deine Recherche zum Thema „Berg-Park-Hase“. Was wird von Deiner Blogg-Recherche in den Köpfen der Leser hängen bleiben? Ein teures Kunstwerk, an falscher Stelle? Bildet es an diesem Ort den Strukturwandel wirklich ab und können Betrachter und Besucher ohne einen Hinweis mit lesbaren Informationen mit der „Landmarke HASE“ überhaupt etwas Nachhaltiges in ihren Köpfen behalten? Nein, wäre meine Antwort als Betrachter und Besucher. Aber - und das sollte den Verantwortlichen die dieses Kunstwerk dort installiert haben ins Stammbuch geschrieben werden: ohne angebrachte Informationen, ohne Denkanstöße die den Betrachter Erklärungen anbieten, ist und bleibt es nur ein roter Farbklecks in der Landschaft.
Marcus Wallerich (Samstag, 19 September 2020 20:01)
Hallo Larissa
"Schönheit liegt im Auge des Betrachters" und "Schönheit ist vergänglich"
beides altbekannte Platinen, leider auch oft genug Grundlage der unreflektiertierten (Vor-)Verurteilung des "Neuen" oder "Andersartigen".
Kunst muss nicht gefallen
Kunst darf auffallen, anregen, anstoßen (Gedanken oder auch a...d sein) und das hat Hasi auf jeden Fall erreicht
ganz im Sinne gut gemachter Werbung
und wenn ich das als Grundgedanken für den Umgang mit Hasi nehme, ist es unerlässlich, den umfassend ungepflegten Umgang mit Hasi deutlich zu verbessern und ihn als Werbung für DIN und Lohberg nutzbar zu machen.
Danke für die längst überfälligen Hintergrundinformationen - und mir ist dabei durchaus bewusst, dass ich mich, wie du anmahnst, sowohl im Vorfeld als auch im weiteren Verlauf, hätte selber informieren können.
Aber auch genau das ist Kunst, eine gedankliche Auseinandersetzung mit Hasi anzuregen, die "eigentlich" jeder für sich längst hätte selber machen können.
LG Marcus