„Im Märzen der Bauer“ – Das Unvollendete?

Ich überlege seit gestern, wie ich von den Wirrungen um die Hrwynja erzählen soll … Ich versuche es einfach mal.

Normalerweise bekomme ich die geschredderten Geldscheine von der Notenbank selbst (so bei €, DM und £). Die Kanadischen Dollar hat mir ein Bekannter in Kanada bei der Notenbank besorgt und zukommen lassen. 

Im Fall der Rubel habe ich über einen befreundeten russischen Künstler einen Kontakt bekommen, der mir nach PayPal-Zahlung in US$ ein Päckchen ohne Absender schickte. (Ich warte immer noch auf Herren in dunklen Anzügen vor der Tür.)

Die Hrwynja fand ich dann auf der Internetseite eines Münzhandels, der als eine Art Plattform für Händler aus aller Welt fungiert. Der eigentliche Händler selbst sitzt in Litauen. Nach reiflicher Überlegung habe ich am 12.3. das einzige verfügbare Brikett geschredderter Hrwynja bei ihm bestellt. 

Als Lieferzeit waren 3-4 Tage angegeben. Der Händler hat sehr viele gute Bewertungen, auch bei Artikeln, die das 10-20fache der Hrwynja kosten. Warum also nicht?
Als ich gestern aber in meiner Übersicht die Bestellung nicht mehr sehen konnte, rief ich (so das vorgesehene Prozedere) den Münzhandel an. 

Ein sehr netter Mitarbeiter hörte sich mein Anliegen an und forschte nach. Es ergab sich, dass der Händler zwar in Litauen gemeldet ist, aber aus Kyiv (Ukraine) verschickt. Verschickte. Er hatte wohl vor ein, zwei Wochen mit ihm telefoniert und gefragt, wie es ihm ginge und was sie mit dem Shop auf der Seite des Münzhandels machen sollen. Die Plattform sollte ihn bitte nicht schließen, denn mit dem Verkauf von Münzen und Banknoten bestreite der Händler seinen Unterhalt. Er würde weiterarbeiten. Einen Teil seiner Ware hätte er gesichert, von dem anderen wüsste er selbst nicht, ob er nicht schon in Schutt und Asche liege. 

Uff. 

Das war der Moment, in dem ich ein schlechtes Gewissen bekam. Ich hatte zwar nicht gewusst, dass der Import aus der Ukraine kommen würde, wenn ich aber die Shopbeschreibung genauer gelesen hätte, wäre es klar gewesen. Es hätte für mich etwas Pietätloses gehabt, dort zu bestellen, wo ich wusste, dass die Menschen dort grad ganz andere Sorgen haben. 
Darüber sprach ich gestern auch mit dem Mitarbeiter der Plattform. 
Es ist nach wie vor unklar, wo genau sich der Händler befindet – vermutlich (!) hat er darüber auch zu seiner eigenen Sicherheit nicht sprechen wollen oder können. Mich geht es auch am allerwenigsten was an. 

Warum teile ich dann diese Geschichte hier?

Viele von euch haben sich auf das Bild gefreut. Ich wollte (werde?) es „Im Märzen der Bauer …“ nennen. Der Traktor sollte in Blau und Gelb aus 1-Hwrynja-Scheinen gestaltet werden und den Panzer aus Rubeln abschleppen. Als Zeichnung und Foto kursieren Bilder wie dieses ja seit Tagen im Netz. 
Nach bereits 30 Stunden Arbeit und diesmal auch Geld, das ich investiert habe, ist das Bild jetzt nur halbfertig. 

Angesichts des möglichen Schicksals des Händlers und der vielen Millionen Menschen ist das völlig egal. Von mir aus bestehe ich auch nicht darauf, dass mir der Kaufpreis der Hrwynja erstattet wird. So oder so braucht der Händler vermutlich gerade jeden Cent. 
  
Ich würde das Bild gern trotzdem fertigstellen. Am liebsten mit Hrwynja. Da bliebe aber nur die Option, sie selbst zu schreddern (falls jemand in meinem Dunstkreis einen P6-Schredder hat, den ich benutzen dürfte, sagt mir gern Bescheid), was mir aber eigentlich widerstrebt. Ich will nicht selber etwas kaputtmachen, um etwas Neues zu schaffen. Die offizielle Entwertung durch die jeweilige Notenbank war und ist immer Aspekt bzw. Komponente der Bedeutung der Bilder. 

Ich könnte den Traktor aus € oder mehreren Währungen gestalten, blau-gelb. Aber das hat irgendwie nicht dieselbe Kraft wie Hrwynja. Außerdem würde es den anderen Ländern zu viel „Hilfe“ attestieren, in denen es ihnen auf dem Bild Raum gibt. Die ukrainischen Bauern profitieren dafür aber zu wenig von der Solidarität der restlichen Welt. Den Traktor aus anderen Währungen zu gestalten, würde die Message des Bildes verfremden. Vielleicht nehme ich die für das Abschleppseil. 

Außerdem wollte ich aus den Hrwynja und Rubeln noch ein Peace-Zeichen gestalten, das zu Gunsten der Ukraine-Hilfe versteigert werden sollte. 

Der Mitarbeiter der Plattform hat mir angeboten, den Händler noch mal zu kontaktieren. Vielleicht ist das Brikett ja doch unterwegs. 
Vielleicht ist ihm aber auch was zugestoßen. 
Mir tun die Menschen in der Ukraine wahnsinnig leid. Und da komme ich dann mit meinem Luxusproblem …

So oder so habe ich gerade keine Ahnung, ob und wann das Bild fertig wird. Das Peace-Zeichen für die Versteigerung werde ich voraussichtlich aus allen anderen mit vorliegenden Währungen gestalten. Das entscheide ich nach dem Wochenende. 


Update 27.03.22:

Noch mitten in der Überlegung erhielt ich eine Versandbestätigung des Händlers. Für einen Moment hielt ich die Luft an. Das Paket kommt direkt aus Kyiv (Kiew/Ukraine). Ich habe eine Trackingnummer und kann sehen, dass es sich gerade in der Auslandsabfertigung befindet. 
Es klingt banal, aber so hart wie die Ukraine und insbesondere Kyiv gerade unter Beschuss steht und so viel wie dort in Trümmern liegt, kann ich nicht fassen, dass da mal einfach so ein Paket abgefertigt wird und sich auf den Weg zu mir macht. 

Die Ukrainische Post bittet übrigens um Hilfslieferungen für ihr Land und hat dazu Listen mit benötigten Gütern und Adressen zusammengestellt, an die man diese senden kann, sofern man keine Hilfstransport-Aktion in der Nähe hat. 
Die Nationalbank der Ukraine hat inzwischen Konten u.a. in Euro angelegt, auf die man für humanitäre Hilfe spenden oder die ukrainische Armee unterstützen kann. Just sayin. 

Update 01.05.22:

Die Hrwynja kamen am 21.04. unversehrt bei mir an. Unser Postbote staunte nicht schlecht, als er mir das Einschreiben aushändigte. „Dass da überhaupt noch was rausgeht. Hier wäre sicher alles zusammengebrochen.“

Mit zittrigen Händen öffnete ich die Schrumpffolie und begann noch am selben Tag mit der Fertigstellung des Traktors. 
Das fertige Bild kann unter „Art against war“ angesehen werden. 

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