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Planungsbüro Evergrey:
„Nur ganz kurz, liebe Bürger*innen, wir sind schon fast fertig, aber: Wollen Sie dunkles (A) oder helles (B) Kopfsteinpflaster in der Parkanlage?“
Bürger*innen:
· Kopfsteinpflaster? Hackt’s? Ich wohn da. Das ist irre laut, besonders, wenn Leute mit Rollkoffern da langlaufen.
· Ich bin auch kein Freund davon. Ich fände einen glatten, sauber geteerten Weg besser, auf dem mein Kind/mein Vater im Rollstuhl kein Schleudertrauma bekommt, wenn wir dort spazieren gehen. Oder Schotter, Schotter ist auch okay.
· Schotter ist doof für Roller und Skateboards und so!
· Wo sollen denn die Wege überhaupt langführen?
· Wir brauchen dann aber Bäume, damit der Teer im Sommer gekühlt wird durch den Schatten.
· Bänke, Bänke an die Wege. Ich muss mich mit dem Rollator ausruhen zwischendurch. Schotter ist für mich schwierig.
· … hier weitere Argumente einfügen, warum man die Nutzer und Anwohner fragen sollte, wenn man etwas für sie plant. Oder gleich mit ihnen gemeinsam planen und entwickeln. Unter anderem das ist Bürgerbeteiligung.
Okay, fangen wir lieber am Anfang an.
Vor ein paar Wochen bat ich Freunde und Follower, an meiner kurzen Umfrage zu Bürgerbeteiligung teilzunehmen. Elf Fragen, Platz für eigene Erfahrungen und Anregungen. 134 Personen waren so nett und haben sich beteiligt, außerdem gab es in den Kommentarspalten bei Facebook und Twitter noch ein paar Gespräche zum Thema. Was ich daraus ableite und für mein weiteres Engagement mitnehme, rolle ich in gewohnt epischer Breite hier für euch aus. Ihr habt es nicht anders gewollt!
Statistik hab ich zwar als Fach immer gehasst, daher geht das hier auch nicht ganz so in die Tiefe, zumal die Umfrageart das auch gar nicht so hergibt. Schon zu Beginn gab es auch genau daran Kritik: „In der freien Wildbahn werden solche Umfragen nur gemacht, um ein vorher vom Verfasser gewünschtes Ergebnis zu untermauern. Daher war meine Frage immer: Was muss bei der Umfrage herauskommen und soll herauskommen?“
Erwischt. Natürlich habe ich durch die Formulierung der Fragen eine sehr konkrete Marschrichtung vorgegeben, allerdings kommt jetzt das große Aber: Ich hatte keine Ahnung, worauf ich hinauswollte. Es sollte nur herauskommen, was die Teilnehmer*innen mir sagen wollten. Zu genau festgelegten Punkten, aber gern auch darüber hinaus.
Hä?
Ich muss etwas ausholen, ich hoffe, Sie haben Getränke und Snacks parat. Falls nicht, decken Sie sich ein, ich warte hier.
Ready? Los geht’s:
Als wir uns mit den Active Citizens das erste Mal zusammengesetzt haben spielten wir das von Christophe Gouache erstellte Spiel „Citizen participation – hell, no!“ Darin namen wir verschiedene Rollen ein wie bspw. gewählte politische Vertreter, Mitarbeiter*innen der Verwaltung und Vertreter anderer Interessen. Diese sollten dann erklären, warum sie unter verschiedensten Aspekten keine Bürgerbeteiligung wünschen. Der Grundstein für „wie packen wir das Ding bei der Wurzel?“ war gelegt, denn aus der Argumentation ließ sich ableiten, wo es hakt und welcher Mittel es bedarf, alle am Leben in der Stadt Beteiligten zusammen- und auf einen möglichst gemeinsamen Nenner zu bringen.
Im weiteren Verlauf unserer Arbeit haben wir uns mit sogenannten Problembäumen beschäftigt. Jeder dieser Bäume hatte ein Themenfeld, meine Arbeitsgruppe hat sich mit Diversifikation beschäftigt. An der Wurzel unseres Baumes fanden sich Probleme wie „es beteiligen sich überproportional viele Männer“, „Bürgerbeteiligung spricht junge Menschen nicht an“, „Marginalisierte werden auch von Bürgerbeteiligung nicht wahrgenommen“. In der Baumkrone wurde wiederum der Idealzustand beschrieben, am Stamm überlegten wir, wie wir dort hingelangen könnten.
Eines der Fazits aus dieser Arbeitsgruppe war, dass Bürgerbeteiligung zu den Menschen kommen muss. (Ich vermeide jetzt den Satz „jeden da abholen, wo er steht“, weil der irgendwie sehr abgedroschen ist und trotz seines Ansatzes die meisten vergisst.) Sie muss möglichst für alle offen sein, jedem Teilnahme und Teilhabe anbieten und das möglichst aktiv, weil halt von selbst immer nur die üblichen Verdächtigen kommen. Nicht, dass wir die ausschließen wollen, um Himmels willen, nein. Aber wir wollen ein möglichst breites Spektrum an Ideen, Anregungen, Expertise und Einwänden haben. Was letztendlich realisiert wird durch Bürgerbeteiligung steht auf einem ganz anderen Blatt. Es geht rein um die Möglichkeit, sich einzubringen und mitzugestalten.
Was hat das alles mit der Umfrage zu tun?
Mir war unsere Erhebung innerhalb der Gruppe noch zu ungenau, da ich im Laufe der Zeit gemerkt habe, dass die wenigsten eine Vorstellung davon haben, was Bürgerbeteiligung überhaupt sein soll und dass im Gegenzug dazu die meisten Hinderungsgründe hatten, sich einzubringen.
Beim transnationalen Meeting in Santa Maria da Feira diskutierten wir abends, wen wir bis jetzt am allerwenigsten auf dem Radar hatten und wer sich vielleicht ausgeschlossen fühlen könnte. Um die Breite der Gesellschaft abzudecken und zusätzlich zum Interesse bei den privilegierten, höher gebildeten und überwiegend älteren Bürger*innen auch das jener zu wecken, die eher am Rand stehen, mussten wir überlegen, wie sie dort hingekommen waren.
An diesem Abend hatte ich die Idee, eine Umfrage zu machen, um herauszufinden, welche Aspekte Bürgerbeteiligung attraktiv machen und welche Hindernisse es noch zu überwinden gilt. Öffnung für Diversität bedeutet nämlich auch, dass sich jeder willkommen fühlen soll [der demokratische Grundsätze einhält] und Bürgerbeteiligung ein diskriminierungs- und möglichst barrierefreier Raum sein muss.
Wie bereits geschrieben haben sich 134 Personen an der Umfrage beteiligt, davon exakt die Hälfte aus Dinslaken. Diese Angabe war für mich wichtig, um ggf. auf lokale Besonderheiten in den Antworten Rücksicht zu nehmen und direkte Anliegen noch in unsere ULG (URBACT Local Group) einzubringen, sofern relevant.
In der vierten Frage hatte ich darum gebeten, etwas zum Familienstand zu sagen und anzugeben, ob jüngere Kinder vorhanden sind und ob man pflegende*r Angehörige*r ist.
„Ich habe fast geheult, weil pflegende Angehörige erwähnt werden.“
Den Satz äußerte eine Teilnehmerin im Schlusswort. Den kann man mal kurz sacken lassen. Pflegende Angehörige stellen den größten nicht-gewerblichen Pflegedienst Deutschlands, sie schlagen sich täglich mit Behörden und Barrieren herum und sind mit 1,76 Millionen Menschen eine oft einfach vergessene Randgruppe. Zusätzlich zu den Menschen, die sie pflegen.
Vielen von Ihnen fehlt aufgrund der häuslichen Situation die Zeit, sich einzubringen. Was meines Erachtens schade ist, da gerade sie eine umfangreiche Expertise mitbringen, was Barrierefreiheit und Teilhabe betrifft. Dies bringen Fachdienste der Verwaltung zwar auch mit, aber aus einer ganz anderen Perspektive. In Dinslaken gab es bspw. einen Runden Tisch, um die Spielplätze inklusiver zu gestalten. Es waren die zuständigen Fachdienste vor Ort, Vertreterinnen der Lebenshilfe und des integrativen Kindergartens. Trotz mehrfacher Ankündigung in der Zeitung und den sozialen Medien kam nur eine Familie mit behindertem, pflegebedürftigem Kind dazu. Warum? Weil man sich gern vernetzen wollte. Weil man aus der Sicht der Nutzer mitgestalten wollte. Und warum nur eine? Weil es gerade noch irgendwie in den straffen Wochen- und Tagesplan gepasst hat. Weil andere keine Pflegevertretung organisieren und das Kind oder die zu pflegende Seniorin nicht mitnehmen konnten.
Man könnte jetzt behaupten, der Spielplatz wäre ohne den Input dieser Familie genauso toll geworden. Man kann sich aber auch einfach mal bei der nächsten Familie mit pflegebedürftigem Angehörigen erkundigen, was städteplanerisch alles verbesserungswürdig ist. Und danach dann noch mal fragen, wie viel davon die Stadt auf dem Schirm hat. Was ich nicht mal böse meine. Aber als Bürger*innen einer Stadt ist man eben Expert*in in der eigenen Sache, wenn es um das Leben in dieser geht.
„Bürgerbeteiligung darf nicht zum Wunschkonzert verkommen. Es reicht, dass die Kommunalpolitiker i.d.R. keine Experten sind. Da braucht es nicht noch mehr Laien, die nur auf eigene Befindlichkeiten achten. Ein Expertengremium aus Reihen der Bürger wäre mein Ideal“, schrieb ein Herr mittleren Alters. Ein weiterer sagte: „Leute ohne politische Erfahrung oder Expertise sollten sich auf ihrem Niveau betätigen.“
Als ich das gelesen habe, ging ich gedanklich sofort in die Gegenargumentation über, nicht ohne mich darüber aufzuregen, wie arrogant und unsinnig ich diese Aussagen fand. Dann fiel mir aber wieder das Spiel vom Anfang ein. Im Prinzip hatten die Teilnehmer genau jene Vorurteile reproduziert, die wir im Rollenspiel dargelegt hatten. Die mir am Anfang auch logisch und zementiert erschienen. Die ich erst in den zwei Jahren Arbeit zum Thema und in der Zusammenarbeit mit den anderen Active Citizens ablegen konnte. Denn Bürgerbeteiligung bedeutet eins nicht: Jeder bekommt, was er will.
Sie bedeutet, dass sich jeder, der will, einbringen kann. Es müssen aber Gesetze (physikalische wie juristische) eingehalten werden, ein Projekt muss finanzierbar sein. Das schließt die Umsetzung völlig utopischer Ideen aus, verbietet aber nicht, sie zu äußern und das Beste aus ihnen mitzunehmen.
Von möglichst viel Bürgerbeteiligung verspricht man sich, dass ein Projekt wie bspw. die Spielplätze auf möglichst hohe Akzeptanz und Nutzung stößt. Sprich: Was aus den eigenen Ideen entstanden ist, nutzt man lieber und häufiger, pflegt es besser und ist auch eher bereit, Geld dafür auszugeben (im Sinne von Steuergeld und Fördermittel dafür aufzuwenden).
Ich wollte daher in der Umfrage wissen, unter welchen Umständen sich die Teilnehmer*innen einbringen würden.
Versehentlich hatte ich bei den Antwortmöglichkeiten noch eine „Option 8“ eingefügt, die ein Scherzkeks auch ausgewählt hat. Dazu später noch.
Aus der Häufigkeit der gemachten Angaben (es war möglich, mehrere bzw. alle auszuwählen) ziehe ich keine weiteren Rückschlüsse, da sie für sich selbst sprechen. Interessanter finde ich an dieser Stelle die vielfältigen Ergänzungen. „Wenn es für mehr Inklusion sorgt“, „wenn Eingriffe in die Natur und Umwelt vorgenommen werden“, „in allen öffentlichen Fragen, wie bei Bürgerrat“ und „wenn ich aktiv Leben und Aussehen meiner Stadt gestalten möchte“ sind Beispiele, die so oder so ähnlich mehrfach formuliert wurden.
Die Motive sind also durchaus unterschiedlich, ebenso die Art und Weise, wie die Teilnehmer*innen auf Bürgerbeteiligung aufmerksam gemacht werden wollen.
Da sich diese Umfrage überwiegend über die sozialen Medien verbreitet hatte, ist verständlich, wie es zu der hohen Zustimmung kam, dort auf Bürgerbeteiligung aufmerksam gemacht zu werden. Ich persönlich hätte mit mehr Stimmen beim Zufallsgenerator gerechnet, aber vielleicht habe ich das auch einfach zu dürftig geschildert. Denn in der URBACT-Methodik hat es sich durchaus bewährt, als städtische Verwaltung unter Datenschutzauflagen über das Einwohnermelderegister Zufallsadressen auswählen zu lassen, und daraufhin die ermittelten Personen zu einer Bürgerbeteiligung einzuladen. Diese Veranstaltungen sind dann so aufgebaut, dass man auch ohne Vorkenntnis der Sache die Möglichkeit hat, gemeinsam mit den anderen Teilnehmer*innen ein Projekt zu einem Thema zu entwickeln.
Ergänzend zu meinen Vorschlägen kamen die Ideen, städtischerseits einen Beteiligungs-Newsletter aufzulegen, Plakate mit Infos, Links und QR-Codes [ggf. in der Nachbarschaft des Projekts] aufzuhängen, Infoveranstaltungen anzubieten und städtische Kulturmeetings oder andere Networking-Maßnahmen abzuhalten.
Aber wie sollen diese Projekte überhaupt laufen?
Nachdem ich also herausgefunden habe, was Bürger*innen zum Mitmachen bewegt und wie sie davon erfahren, wollte ich wissen, auf welchem Weg sie sich beteiligen wollen.
Was bedeutet "sicherer Raum"?
Ganz zu Beginn der Umfrage habe ich erhoben, welchen Geschlechts die Teilnehmer*innen sind, ob sie zu einer Minderheit gehören und ob sie schon einmal Diskriminierung erfahren haben.
Auf 60 % Frauenanteil kamen 34 % Männer und 6 % nicht-binäre, inter* oder anders genderqueere Menschen. Alle genderqueeren Teilnehmer*innen gaben an, dass sie aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität bereits Ausgrenzung/Diskriminierung erfahren haben. 33 % der Befragten gaben an, wegen einer Behinderung bereits ausgegrenzt worden zu sein. Hinzu kamen Ausgrenzung wegen der Behinderung des Partners oder Kindes sowie Homosexualität. Mehrfachantworten waren möglich. Insgesamt gaben 68 % an, dass sie aus anderen als den vorgenannten Gründen bereits aus sozialen Situationen ausgegrenzt wurden. Zwei Drittel.
Das war der Moment, in dem ich die Ergebnisse zum ersten Mal anhand der Einzelumfragebögen geprüft habe. Zwei Drittel der Menschen hatten negative Erfahrungen in der Begegnung mit anderen Menschen gemacht. So nachhaltig, dass sie es in einer Umfrage zu Bürgerbeteiligung als nennenswert ansehen. Und hier spielt keine Rolle, wie alle anderen diese Situation erlebt haben mochten – es geht darum, dass diese Person das so empfunden hat, Empfinden kann man niemandem absprechen. Klar, alles rein subjektiv, vermutlich auch nicht streng wissenschaftlich repräsentativ, aber trotzdem eine Hausnummer, die man nicht aus den Augen lassen darf, wenn man über Beteiligungskultur spricht.
Da kommt der sichere Raum ins Spiel. Wo ich mich sicher fühle, akzeptiert und als gleichwertiges Mitglied einer [temporären] Gruppe, bringe ich meine Meinung und Expertise sowie Zeit und Arbeit gern ein. Diesen „sicheren Raum“ muss also Bürgerbeteiligung bereitstellen. Was selbstverständlich klingt, beinhaltet aber eine empathiegetragene Moderation und das Wissen um Fallstricke. Es geht dabei mitnichten darum, Traumata zu therapieren oder hyperwoken Snowflakes den Popo zu pudern. Es muss nur von Anfang klar sein, dass Diskriminierung anderer Teilnehmer*innen nicht geduldet wird und Diversität ausdrücklich erwünscht ist. An dieser Stelle muss ich kurz betonen, dass insbesondere in diesem Absatz meine (!) Vorstellung von Bürgerbeteiligung dargelegt ist und dem entspricht, was ich in den URBACT-Seminaren gelernt habe. Dies spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Active Citizens und Inhalte des IAP (Integrated Action Plan) wider.
Ergänzungen der Frage nach dem „Wie soll Bürgerbeteiligung aussehen?“ waren unter anderem, dass die Kommunikation auf Augenhöhe besonders wichtig erscheint, sowie dass Transparenz innerhalb des Projekts die Grundlage für einen ehrlichen und offenen Austausch sein sollte.
Stellt sich nun die Mutter aller Fragen: Was hab ich als Bürger*in eigentlich davon, wenn ich mich beteilige?
Nun, in den Fällen, in denen ich selbst betroffen bin oder mein Umfeld, kann ich direkten Einfluss auf die Gestaltung nehmen. Sei es, dass ich ein mich interessierendes kulturelles Event mit plane und durchführe, den Rotbach, wo ich gern spazieren gehe, vom Müll befreie oder mich dafür einsetze, dass die Kunstwerke im Bergpark in Lohberg endlich beschildert werden, weil ich gern wissen will, was es damit auf sich hat. Vielleicht betrifft mich das auch alles nicht persönlich, aber ich will mich der guten Sache anschließen und mich ehrenamtlich engagieren.
Sie hat das böse Wort geschrieben. Ehrenamtlich.
Ehrenamt ist schweres Amt, heißt es ja gern. Hilfsorganisationen, Vereine und Verbände können ein Lied davon singen, wie schwer es mitunter ist, Freiwillige zu finden.
Ein Gedanke, mit dem wir uns bei den Active Citizens häufiger beschäftigt haben, war die Frage, ob ein besonderer Anreiz oder eine Anerkennung dabei helfen könnten, das Engagement in Sachen Bürgerbeteiligung zu erhöhen.
Mehrfach wurden in den Freitexten flexible, arbeitnehmerfreundliche Zeiten gewünscht, ebenso die Möglichkeit, ggf. Kinder mitzubringen. „Respekt und Wertschätzung fürs Einbringen“, „positive, konstruktive Atmosphäre bei den Treffen“ sowie der Wunsch, dass man „direkte Auswirkungen und Ergebnisse erfährt“ und außerdem „nicht mit Teilbereichen [von Entscheidungen] abgespeist wird, wie etwa der Farbe des Bodenbelags im Stadtpark“. Das greift übrigens den Punkt „Augenhöhe“ aus dem Abschnitt oben wieder auf.
Was aber haben Wegstrecken, Kinderbetreuung und Verhinderungspflege mit Anreizen zu tun?
Wie man gut an der Antwort „Mir reicht ein Danke!“ erkennen kann, bedarf es neben der Aufbereitung in den Medien und ein wenig Gastfreundschaft vor Ort offenbar keiner besonderen anderen Anreize, um Bürger*innen zu motivieren. Wertschätzung der Arbeit kann und soll aber auch bedeuten, dass man seitens der Initiatoren die Einstellung ablegt, dass „wer will, der kommt auch“.
Das erfordert viel Kommunikation und Koordination, sorgt aber für eine gerechtere Form von Partizipation und mehr Inklusion.
Womit ich übrigens unverhältnismäßig elegant zum Thema „Was bedeutet für Sie Barrierefreiheit im Zusammenhang mit Bürgerbeteiligung?“ übergeleitet habe, oder?
Bei dieser Frage stand eine Freitextoption zur Verfügung, aus der ich die meistgenannten und relevantesten Punkte aufführe:
· Keine Beschallung durch Musik bzw. generell möglichst reizarme Umgebung.
· Keine grellen Lichter und Lichteffekte.
· Genügend Zeit und Leitlinien und sozialen Situationen
· Nicht allzu lange Dauer
· Maskenpflicht, Luftfilter, gern online wegen Risikokind im Haushalt
· Untertitel, schriftliche Kommunikation, Gebärdensprache
· Einfache und klar strukturierte Sprache.
· Einfache Sprache, flexible Möglichkeiten der Teilnahme.
· Verständliche Sprache (da Hörminderung)
· Dass Texte nicht zu klein sind.
· Möglichkeiten der schriftlichen Beteiligung, Beteiligung von zu Hause aus.
· Zugang für jeden in seiner präferierten Form (schriftlich, mündlich, fernmündlich, per elektr. Post, persönlich, ggf. mit einem Übersetzer) und das möglichst unkompliziert und unbürokratisch.
· Möglichkeit der digitalen Teilnahme
· Virtuelle Beteiligungsmöglichkeiten.
· Flexibilität in allen Farben. Meistens sind Beteiligungen sehr festen Strukturen gewidmet und ich schaffe solche Termine durch Arbeit und Co. nicht.
· Onlinezugang zu allen Angeboten.
· Zeitliche Unabhängigkeit
· Remote- und Online-Möglichkeiten. Wenn zwingend offline, dann möglichst lange Zugänglichkeiten z.B. zu ausliegenden Dokumenten, sodass ich Stoßzeiten vermeiden kann.
· Wirtschaftliche Barrierefreiheit
· Gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
· Gute Busverbindungen, günstige Tarife
· Barrierefreie Zugänge.
· Rollatorfreundlich.
· Vorhandene und funktionierende Aufzüge.
· Große Räume, die Rangieren mit dem Rollstuhl ermöglichen, Jacken- und Gepäckaufbewahrung
Wie man sieht, habe ich die Antworten ein wenig geclustert. Neben der Möglichkeit, auch mit Behinderungen möglichst unkompliziert an Präsenzveranstaltungen teilnehmen zu können, wurde vielfach der Wunsch geäußert, hybride Modelle und generellen Zugang online zu ermöglichen. Somit kann jeder in seinem Tempo, zu seiner präferierten Zeit bspw. an Abstimmungen teilnehmen, Pläne einsehen und bewerten, Vorschläge einreichen und Ideen äußern. Natürlich kann man den Rotbach nicht online vom Müll befreien und offline wesentlich schlechter alle zum Nachnutzungsplan der Trabrennbahn zu Wort kommen lassen. Aber der Wunsch nach digitaler Teilhabe und Interaktion ist groß.
Ich möchte dazu noch einen Vergleich anführen. Bei der Kommunalwahl 2020 haben in Dinslaken 26.621 Menschen (49 % der Wahlberechtigten) ihre Stimme abgegeben. 11.559 davon per Briefwahl (das entspricht 43 % aller, die gewählt haben). Ein klares Zeichen für das Mitmachen vom Sofa aus.
51 % der Wahlberechtigten haben aber nach Adam Riese ihre Stimme nicht abgegeben. Warum auch immer. Selber schuld. Dinslaken hat ca. 70.700 Einwohner. Das bedeutet einerseits, dass der Rat in seiner Zusammensetzung und auch die Bürgermeisterin von weniger als 40 % der Bürger*innen gewählt wurden. Ist okay, wir leben in einer Demokratie, da ist das legitim.
Knapp 54.000 Wahlberechtigte in Dinslaken bedeutet aber auch, dass ca. 16.700 Menschen in Dinslaken nicht wahlberechtigt sind. Kinder und Jugendliche sowie diejenigen, die hier leben, aber nicht Deutsche oder Staatsangehörige der 26 anderen EU-Mitgliedstaaten sind. Die werden vom Stadtrat und der Bürgermeisterin genauso vertreten wie die, die gewählt haben oder eben nicht. Nur dass sie halt keine Einflussmöglichkeit hatten, wer da sitzt. Der ein oder andere bereut seine [Nicht-]Wahl inzwischen vielleicht auch.
Worauf ich hinauswill?
Bürgerbeteiligung ist kein Konkurrenzprodukt zum Stadtrat. Bürgerbeteiligung ist eine Ergänzung, die auch diejenigen zu Wort und Tat kommen lässt, die nicht wahlberechtigt sind oder nicht gewählt haben, aber unter Umständen von einer Maßnahme betroffen sind. (Freibadnachnutzung, Trabrennbahnbebauung, Spielplatzgestaltung, Kulturprogramm usw.) Bürgerbeteiligung gibt jedem das Recht zur Ko-Kreation, der gemeinsamen Gestaltung des städtischen Lebens.
Bürgerbeteiligung schließt aber Planungsbüros und andere Experten nicht aus. Allerdings macht sie einen [r]evolutionären entscheidenden Schritt: Bürger*innen kommen auf direkte Augenhöhe mit denen, die die Umsetzung verantworten und ausführen.
In der Umfrage wurde deutlich, dass der Wunsch, dieses Recht zur Ko-Kreation wahrzunehmen, durchaus vorhanden ist. Wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.
„Ich fände es in Zukunft gut wenn Bürgerbeteiligung auch von Menschen zwischen 20 und 35 mehr ernst genommen wird und oder überhaupt stattfindet. Klar wohnen statistisch mehr alte Menschen in Dinslaken und mehr alte Menschen sitzen in den Räten. Aber so ist Dinslaken zunehmend unattraktiv für meine Altersklasse oder jüngere […] Auch sollte die Stadt ihre Prozesse deutlich optimieren, so dass die Bewilligung oder Besprechung von Anträgen nicht so ewig lange dauert, dass die Zeit des Projektes dadurch nur verkürzt stattfinden kann. Oder aber man von Förderungen nur halb profitiert obwohl man mit schnellen Prozessen viel mehr rausholen könnte.“
Das Zitat stammt aus einer der Schlussworte des Fragebogens, ein weiteres sagt:
„Verwaltung sollte viel transparenter sein. Im Moment ist es für den Bürger oft eine undurchdringbare Burg, die mehr abwehrt als einlädt.“
Und:
„Ich glaube leider, dass der Weg der Beteiligung ein steiniger ist. Gleichwohl … Good luck […]“
Das Recht auf Option 8
So wie der Teilnehmer in der Umfrage das Recht hatte, Option 8 auszuwählen, hatte ich das Recht, diese Option in der Analyse zu streichen. Weil Option 8 nicht umsetzbar war. Und niemand anderes Option 8 haben wollte. Option 8 hätte keiner demokratischen Abstimmung standgehalten. Option 8, w3as auch immer es sein sollte, wäre nicht finanzierbar gewesen. Option 8 war für einen kleinen Lacher gut. Und für diese Quintessenz. Denn:
Bürgerbeteiligung enthält ganz viele Optionen, Variablen.
Sei es die Absprache, wie die ältere Dame im Rollstuhl zur Planungsrunde für die Baumpflanzaktion kommt oder die Gestaltung der Arbeitsumgebung für die 30 zufällig ausgewählten Grundschulkinder, die das Kinderkulturprogramm kreieren. Sei es die pflegende, alleinerziehende Mutter, die sich beim nächsten Hackathon mit beruflicher Expertise einbringt, aber dafür zu Hause Ablösung benötigt. Sei es die nicht-binäre Person, die mit den Pronomen they/them angesprochen und angeschrieben werden möchte.
Man kann natürlich auf diese Vielfalt verzichten; wie ich bereits schrieb: „Wer will, der kommt“. Aber drehen wir den Spieß mal um und schließen die Stammgäste von Ko-Kreation aus. Nur noch People of Color dürfen ihr Recht auf Mitbestimmung und Ko-Kreation ausüben, nur Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderte, Frauen, Jugendliche, Kinder, prekär Beschäftigte, [Gender-]Queere …
Bevor jetzt der erste privilegierte Herr mittleren Alters einen Herzinfarkt erleidet: Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht, ne?
Ach, war auch das falsche Horn.
Sorry.
Ich will ja gar nicht weiter sticheln. Das tut der Sache nicht gut.
Es ist ihr aber ebenso abträglich, wenn man die Menschen links und rechts von sich ignoriert. Wir brauchen die "alten, weißen Männer" genauso wie die ältere gehbehinderte Dame, die pflegende Mutter, die Grundschulkinder und die nicht-binäre Person. Sie alle sind Teil unserer Gesellschaft und bringen Option 1-7 in die Überlegung ein. Vielleicht auch Option 8. Und sie verhindern damit, dass wir alle nur Option A und B vor die Nase gesetzt bekommen.
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Bernhard Rocksloh (Mittwoch, 27 April 2022 14:54)
Ich bin froh, dass eine derartige Umfrage stattgefunden hat. Zu hoffen bleibt, dass die Stadtverwaltung den Bürgerkontakt sucht und geäußerte Missstände prüft und ggfs. beseitigt.