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J’accuse – [k]ein offener Brief

 

Bürgerbeteiligung, my ass ... Was das Vorgehen der SPD, CDU und UBV in der Causa Freibad Hiesfeld für den Fortschritt in Sachen partizipative Demokratie bedeutet.

Wie mein Twitter-Mutual @scherbenstein kürzlich schrieb: „‘Offene Briefe‘ sind zu annähernd 100% blöd, egal aus welcher Ecke sie kommen.“ Er fand dafür viel Zustimmung und ich sah davon ab, meiner schriftgewordenen … nennen wir es Irritation um das Vorgehen der Fraktionen der SPD, CDU und UBV im Rat der Stadt Dinslaken als offenen Brief zu deklarieren. Die Überschrift lässt eine Anklage vermuten, eine Hommage an Émile Zola, vielleicht auch die Unkenntnis, wie man Jacuzzi schreibt.

 

Jacuzzi. Das warme blubbernde Planschbecken leitet wunderbar über auf … tadaaa, das Hiesfelder Freibad und dessen Nachnutzung.

 

 

 

Ich hatte mir geschworen, diese Dschungelsumpfsteppe nicht zu betreten und daher streife ich die prähistorischen Geschehnisse allenfalls. Das Freibad Hiesfeld ist Geschichte, Freischwimmer treten höchstens noch als Akustikband in Erscheinung, aber nicht mehr mit Badehose und Taucherbrille in Gestalt schwimmbegeisterter Dinslakener Bürger*innen. Das Gelände ist allerdings noch da. Es gehört den Stadtwerken Dinslaken, einer hundertprozentigen Tochter der Stadt Dinslaken.

Es liegt in direkter Nachbarschaft zum Rotbach und am äußersten Rand des Hiesfelder Walds, einem Teil des Naturschutzgebietes Hohe Mark. Ein markanter Übertrittspunkt vom strukturgewandelten Ruhrgebiet zum zur Naherholung einladenden Niederrhein.

 

 

Natürlich (ha-ha, Wortwitz) will man dieses Sahneschnittchen nicht weiter verkommen lassen und so fragte die für solche Angelegenheiten geschaffene DINFleg (Dinslakener Flächenentwicklungsgesellschaft) im Rahmen einer Small Scale Action der durch den Rat der Stadt Dinslaken beauftragten Active Citizens die Bürger*innen aufwändig, was sie dort gern hätten. Wie soll das Areal entwickelt werden? Was wünschen Sie sich? Was würden Sie dort nutzen? Worauf soll geachtet werden?

 

 

Active Citizens?

 

Über die Active Citizens habe ich auf diesem Blog mehrere Artikel verfasst, da ich Teil dieser URBACT Local Group  (ULG) bin bzw. war. Unter dem #activecitizens und #bürgerbeteiligung sind diese Artikel am Ende dieser Seite aufzufinden.

 

Wir haben zwei Jahre lang mit Hilfe von internationalen Expert*innen im Auftrag des Rats der Stadt Dinslaken ein Bürgerbeteiligungsprogramm entwickelt und einen Integrierten Aktionsplan (IAP) geschrieben. Dieser Plan soll vom Stadtrat im September 2022 verabschiedet und umgesetzt werden. Wenn es nach uns ginge. In diesen zwei Jahren kam, außer sehr aktiv von den Grünen und minimal der SPD, wenig Interesse der Stadtverordneten auf, sich anzuschauen und mitzugestalten, wie Bürgerbeteiligung in Dinslaken entwickelt werden kann und soll. Wir haben nie hinter verschlossenen Türen getagt, uns immer wieder angeboten. Unsere ULG hat sich international ausgetauscht mit anderen Gruppen, deren Städte bereist, Erfahrungen gesammelt und weiterentwickelt.

 

Was wir gemacht haben, war nie heimlich und immer im Auftrag des Stadrates bzw. legitimiert über den Beschluss, sich am URBACT-Programm zu beteiligen. Einige Mitarbeiter*innen der DINFleg sind bzw. waren Teil dieser Gruppe. Einerseits, um Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung einzubringen, andererseits, um mit uns zu lernen, den IAP zu entwickeln und im Rahmen dieses Projekts Flächenentwicklung in Ko-Kreation mit Bürger*innen auszuprobieren.

 

 

Ko-Kreation ist die höchste Stufe der Bürgerbeteiligung. Das bedeutet, dass alle Beteiligten von der Idee an auf Augenhöhe miteinander arbeiten, um eine Sache zu gestalten. So sollten Expert*innen, Verwaltung, Flächenentwicklung sowie Bürger*innen sich der Möglichkeit der Nachnutzung des Freibad-Areals annehmen. 

 

 

So weit zur Vorgeschichte.

 

Die DIN-Fleg machte mehrere Online-Workshops, ließ Expert*innen zu Wort kommen, bot eine interaktive Karte der Ideen an und sammelte Vorschläge. Öffentlich, offiziell. Angekündigt in den sozialen Medien und Presse. Wer wollte, konnte sich einbringen.

Heraus kam ein Plan, der den Schwerpunkt auf Naherholung und Rekreation der Natur setzt. Von und mit Bürger*innen entwickelt, an deren Wünschen orientiert.

 

Ich muss fairerweise dazu sagen, dass das URBACT-Konzept vorsieht, zunächst alle Wünsche, und seien sie auch noch so utopisch, zuzulassen und im Diskurs demokratisch zu entscheiden, was davon umgesetzt wird oder nicht. Natürlich im Rahmen der Möglichkeiten. Wie dieser Rahmen beschaffen ist, geben Expert*innen vor, auch, was die Finanzierung betrifft. Wobei hier besonderes Augenmerk auf Fördermöglichkeiten und Synergieeffekte gelegt wird.

 

Dieser Plan war im Frühjahr 2022 weitestgehend fertig und wurde in seiner finalen Version im Sommer der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Projekt Active Citizens endete Anfang August.

Um auch hier ehrlich zu sein, uns war eines immer bewusst: „No plan survives first contact with reality.“ Zu Deutsch: „Kein Plan überlebt den Erstkontakt mit der Realität.“

 

Was aber nun geschehen ist, hat mich im ersten Moment sprachlos, im zweiten wütend und im Anschluss gleichgültig gemacht.

Die Fraktionen der SPD, CDU und UBV wollen den Plan der DINFleg ablehnen und stattdessen die Fläche mit einer Minigolfbahn, Autoscooter, Event-Plaza und Hüpfburg sowie anderen Attraktionen zupflastern. Außerdem soll das Gelände in der Hand der Stadtwerke bleiben und von diesen bewirtschaftet werden.

Das alles ist eine Kosten-Nutzen-Frage. Zahlen und Fakten dazu bei der NRZ. Aber: es ist eigentlich auch unbedeutend, wie hoch genau die Summen sind, denn es geht hier um mehr als Geld.

 

Es geht um das Vertrauen in die gewählten politischen Vertreter, in geleistete Arbeit von Bürger*innen und insbesondere um deren Wünsche. Der ko-kreierte Plan enthielt den Aspekt, diese Frischluftschneise zu erhalten und verbessern, Versiegelung zu vermeiden und statt auf Konsum und Elektronik zu setzen, eine Oase der Erholung und Verweilqualität für alle zu schaffen. Nachhaltigkeit und Umweltanbindung waren ebenso hervorgehobene Stichworte. Es sollte möglichst für alle zugänglich sein, barriere- und kostenfrei.

 

Ich weiß nicht, ob diese drei Fraktionen es nicht mitbekommen haben, daher an dieser Stelle noch mal zum Hinter-die-Ohren-Schreiben: Wir müssen unsere Energieressourcen schonen. Versiegelung vermeiden. Etwas mehr auf Muskelkraft und Köpfchen setzen, statt auf kurzweilige Unterhaltung, die an jeder anderen Ecke der Stadt zu bekommen ist.

 

Aber klar, so ein Zirkus Halligalli spült Geld in die klammen Kassen der Stadt. Oder vielmehr der Stadtwerke. Irgendwann vielleicht. Wer kann und will sich sowas noch leisten? Wieso führt der Gegenentwurf absichtlich an Nachhaltigkeit vorbei?

 

 

Im Kommentar zum oben verlinkten Artikel brachte Anja Hasenjürgen es auf den Punkt: „Die Botschaft, die bei den Bürgern ankommt […]: Eure Meinung zählt nicht.“ Sie nannte es „unverzeihlich“, so zu handeln. 

 

 

Mir fallen dazu noch weitere Begriffe ein. Ignorant. Respektlos. Egozentrisch.

 

Nachdem ich den Artikel und Kommentar gelesen hatte, erwog ich – wie oben erwähnt – einen offenen Brief an den Rat und insbesondere die Fraktionen SPD, CDU und UBV zu schreiben. Das hat aber was von wütender, in ihrer Eitelkeit gekränkter und sich aufspielender Bürger*in. Die Rolle spare ich mir für spätere Zeiten auf.

 

Ich trug mich mit dem Gedanken, dafür zu plädieren, den integrierten Aktionsplan der Active Citizens nicht anzunehmen. Wer Bürgerbeteiligung so mit Füßen tritt und geleistete Arbeit (sowohl der Active Citizens als auch insbesondere der Bürger*innen, die sich bereits an den Projekten beteiligt haben) so wenig wertschätzt und respektiert, wird diese umfassende Handlungsempfehlung nicht im Ansatz begreifen und nicht in der Lage sein, sie umzusetzen. Also sollen sie es direkt lassen.

 

Aber wir haben den IAP, unser „Baby“, bereits zur Adoption freigegeben. Es jetzt lauthals zurückzufordern würde das falsche Signal setzen.

Ich persönlich kann aber in Dinslaken nicht mehr für Bürgerbeteiligung werben, wenn ich sehe, wem sie hier dient. (Wem? Der Belustigung und der Machtgeilheit der o.g. politischen Akteure.)

 

Ganz von der Signalwirkung an die Dinslakener Bürger*innen abgesehen: Ich glaube, dass sich keiner der Verantwortlichen ein Bild davon macht, wie uns das in dieser internationalen Gruppe von Städten und Expert*innen, mit denen wir den IAP entwickelt haben, dastehen lässt.

 

Konsequenzen gibt es aller Voraussicht natürlich mal wieder keine für diese Fraktionen und offenbar ist deren Fell dick genug. Wie albern scheint es aber gleichwohl, sich unter allen Umständen den Titel „Hansestadt“ an Land zu ziehen, um etwas herzumachen, und sich dann derart bei einem auslaufenden EU-geförderten Projekt zu blamieren. Ich schäme mich für diese Entscheidungen und das Vorgehen unserer gewählten Vertreter*innen. 

 

 

J’accuse – ich klage an.

 

Na ja, so weit gehe ich de facto nicht. Aber ich be-klage das Vorgehen der drei Fraktionen.

 

Dabei würde ich lieber „j’adore‘ schreiben. Ich liebe. Mir gefällt. Bürgerbeteiligung. Ko-Kreation. Vertrauen in die Politik, Verwaltung.

 

Stattdessen sitze ich hier und muss noch etwas deutlicher werden.

 

Lasst es mich am besten ganz platt sagen: Es ist scheißegal, ob der Rat oder die Verwaltung oder Omma Brömmelkamps Hamster das Bürgerbeteiligungsverfahren zur Nachnutzung beauftragt, veranstaltet und ausgewertet hat. Es war allen Dinslakener*innen zugänglich, wurde gut angenommen und hat im Sinne der Ko-Kreation einen brauchbaren Plan entwickelt. Der Wille der Bürger*innen wurde fachmännisch erörtert, durch Experten revidiert und umsetzungsfähig appelliert.

 

Wie können Fraktionen, deren Mitglieder an Ko-Kreation teilgenommen haben (looking at you, UBV … ihr erinnert euch an den Hackathon?) und davon begeistert waren, wie solche Projekte funktionieren, sich dagegen stellen?

 

Warum macht man den Fortschritt in Sachen partizipativer Demokratie sehenden Auges zunichte?

 

Welchen Götterkomplex muss man haben, das jetzt vom Tisch zu wischen und eine Halligalli-Konsumfläche zu zementieren? Wie kann man den ausdrücklichen, professionell formulierten Wunsch der Bürger*innen derart ignorieren? Die Arbeit, die darin steckt [und auch Geld gekostet hat] so wenig wertschätzen und mit Füßen treten?

Das ist an Respektlosigkeit nicht zu überbieten.

 

Ich bin gespannt, wie dieser Schaden am Vertrauen der Bürger*innen kompensiert werden soll. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Martin (Samstag, 20 August 2022 22:42)

    Danke :)

    So lange die alten, weißen Männer (es tut mir leid, denn hier passt es leider so zutreffend) das Sagen haben in der Dinslakener parteienlandschaft (U.A. Die Herren B., W., K. Usw. ), wird sich da nix ändern. Da werden die Geschicke weiter an der Theke und nicht mit dem Bürger gelenkt…