Ein hausgewordener Tsundoku machte am Wochenende in den sozialen Medien die Runde und ich mir Gedanken dazu.
Einige von euch haben es bestimmt gesehen. Das „Schröder-Haus“. Wände und ein Dachstuhl voller Bücher, in einem Privathaus. Und wenn ich hier schreibe „voll“, meine ich proppenvoll.
Auf Facebook und Twitter wurde es mir am Wochenende mehrfach angezeigt. Unter dem WDR-Beitrag dazu sammelten sich tausende Kommentare, allesamt gingen in die Richtung „O mein Gott, wie schön, so möchte ich leben.“
Ich war zunächst sprachlos.
Es dauerte eine Weile, bis ich erklären konnte, warum mich das irgendwie triggerte. Als ich klein war, neidete ich Belle die Bibliothek im Schloss des Biests, verbrachte als Jugendliche Tage und Nächte in Büchereien, gab Unsummen in Buchhandlungen aus.
Als Erwachsene nahm ich alle meine Bücher bei jedem meiner drei großen Umzüge mit.
Vor gut 13 Jahren mistete ich das erste Mal aus. Runter von vierstellig auf 400, vor einer Weile nochmal um die Hälfte. Erst tat es irgendwie weh, dann hatte es was marie-kondō-mäßiges. Da sparkte kein Joy mehr. Und so schwer jedes Buch war, so sehr fiel etwas an Ballast ab, als es wahlweise in die Tonne oder ein neues Zuhause wanderte.
Dank dieser Erfahrung konnte ich mich natürlich prima über den 88-jährigen Sammler erheben, der nicht wie ich rational geblieben war, sondern sich gern mit Büchern umgeben hatte. Vielleicht maßlos geworden war.
1935 geboren. Kriegsgeneration. Nenn mir einen, der da nicht irgendwas gehortet hat.
Ich will den Verstorbenen nicht bashen. Er wird vermutlich sogar gewusst haben, dass dieses Erbe zur Belastung wird. Richtig verübeln kann ich ihm „nach mir die Sintflut“ nicht, dafür bewundere ich diese Einstellung auch irgendwie zu sehr. Dennoch kann ich rational nichts Gutes an diesem Hort finden.
Muss ich auch gar nicht.
Ich muss mich nicht drum kümmern, es war schließlich nicht mein Opa. By the way: Mein Opa (1928-2010) hat beizeiten seinen Buchbestand klein gehalten und war trotzdem ein relativ belesener Mann. Dafür hat er Werkzeug gehortet. Der Schrotthändler hat sich die Hände gerieben.
Zurück zum Schmidt-Haus, dem Anlass dieses Artikels. Ich will niemanden zum Ausmisten anstiften, auch wenn das zum anstehenden Frühjahrsputz eine elegante Idee wäre.
Ich nehm euch nur kurz mit in einen anderen Gedankengang, den ich gestern Abend dazu hatte. Er hat was mit Ambivalenz und Ambiguitätstoleranz zu tun. Meinetwegen auch mit Dialektik.
Wie kann ich als Autorin so was über Bücher sagen? Bei so einem Buchbestand müsste mir doch das Herz aufgehen und ich freiwillig das Erbe antreten.
Ich könnte natürlich was Hochtrabendes dazu schreiben, warum ich Autorin wurde. Zum Beispiel: „Meine Beziehungen haben nie funktioniert, weil ich sehr empathisch bin und in der Lage, mir das, was ich mir wünsche und ausdenke, auf die Person und ihre Beziehung zu mir zu projizieren. Ich kann mich selbst glauben machen, dass meine Bedürfnisse erfüllt werden, weil sie in meinem neurodiversen Plot-Hirn so sind, weil ich sie so geschaffen habe. Damit verfange ich mich immer wieder in Beziehungen jeder Art, obwohl sie mir nicht guttun. Ich weiß das. Latent, subtil auch währenddessen. Aber ich ignoriere das.
Beim Schreiben kann ich das gefahrlos ausleben.“ Das klingt zum einen schwer nach „hat einen an der Klatsche und nutzt das Schreiben als Therapie“ und zum anderen nach „beziehungsunfähige Krawallschachtel, wann nächste Trennung?“, und um mir ungefragte Kommentare in diese Richtung zu ersparen, lautet das Narrativ, warum ich zu schreiben und veröffentlichen begann, dass ich die Geschichten, die so viel Speicherplatz in meinem Kopf benötigten aufgeschrieben habe. Weil ich sie verfestigen wollte, defragmentieren, festhalten und linear werden lassen. Sie benötigen zwar immer noch so viel Platz, sogar mehr als vorher, aber sie drängen sich nicht mehr ungefragt in den Vordergrund. Sie wissen, sie wurden erzählt. Es ist, als würde ich meine Lieblingsserien immer mal wieder anschauen.
Es hat einerseits etwas Befreiendes, eine Geschichte auszubreiten, zu erzählen, weil man sie selbst gern lesen und am Stück erleben will. Deswegen ist es mir auch – im Positiven Sinne – egal, wie sie beim Publikum ankommt. In erster Linie schreibe ich sie ja auf, um sie aus dem Kopf zu haben bzw. Ordnung zu schaffen und ihr woanders Raum zu geben. Was aber nicht heißt, dass mich negative Kritik nicht zum Nachdenken bewegt und ich mich über positive Resonanz nicht freue. Es ändert nur die Geschichte eben nicht, die ohnehin eher da war.
Ich wurde also Autorin, um den inneren Frieden zu finden.
Nee. Quatsch. Jeder, der mal mehr als einen Schulaufsatz im Sinne „Bei dem Werk XY von ABC geht es um“ verfasst hat, weiß, dass Schreiben mitnichten inneren Frieden herbeiführt. Im Gegenteil. Der offene Konflikt mit der Geschichte, ihren Charakteren und ihrem Verlauf, will präzise durchlebt werden. In allen möglichen Varianten, Konstellationen, Ausgängen. Ihn dann zu Papier zu bringen, ist allenfalls ein Kompromiss. Der wiederum dazu führt, wie oben bereits erwähnt, dass die Geschichten zwar leiser werden, weniger Ansprüche formulieren, aber trotzdem stets im Kopf bleiben.
Überempathisch und kompromissfreudig. Ich lobe mich selbst über den grünen Klee. Wobei das gar nicht meine Art ist. Schreiben verändert einen. Es macht einen stolz und demütig zugleich. Hunderte und tausende gedruckter Seiten, von eigener Hand getippt – hat nicht jeder im Regal stehen.
Deswegen rede ich nur ungern darüber. Weil es eben in meinem Kopf keine Geschichte dazu gibt und ich mich schlecht in mich selbst versetzen und mich selbst spielen kann. Was mich auch zur schlechtesten Self-Marketerin unter dieser Sonne macht. Ich will nicht „Die Autorin“ oder „Die Künstlerin“ sein und mich als solche inszenieren, den Fokus auf mich lenken. Es ist egal, was oder wer ich bin. Ich gebe euch meine Werke zu lesen und anzusehen, darin erfahrt ihr mehr über mich als in einer von mir misslich zusammengeleimten Antwort auf die Fragen, warum ich damit angefangen habe, woher ich meine Ideen kommen und was für mich am Schreiben und Gestalten wichtig, spannend, das Schönste ist.
Weil es ja dem Leser und Betrachter nichts gibt. Ich bin als Person egal, die Deutungshoheit liegt bei ihm. Was nutzt es ihm, dass mein Gehirn für den Moment der Veröffentlichung defragmentiert ist und Kaufhausmusikidylle herrscht?
Nix. Richtig.
Ich. Ich. Ich.
Ich will aber – nach wie vor – nicht, dass es um mich geht. Damit meine ich nicht die Trennung von Werk und Autor. Auch ne total bekloppte Idee, die nur auf wenigen Ebenen an der Oberfläche funktioniert. Wenn es aber darum geht, warum ich meine Geschichten veröffentliche, soll doch die Geschichte im Mittelpunkt stehen und nicht der Vorteil, den ich hatte und habe, weil ich sie aufgeschrieben habe.
Trotzdem schreibe ich was zum Unique Selling Point meiner Bücher, auch wenn klar ist, dass es so was nicht gibt. Ich will ja, dass sie gelesen und gemocht werden. Weil ich weiß, was Geschichten anrichten können. Und ich mich gern – bin ja Empathin – mitfreue mit meinen Lesern.
Kommen wir noch mal zurück auf den Büchersammler.
Der hatte mit größter Sicherheit keins meiner Werke dort stehen.
Hmtjanun.
Ich komm noch mal anders rein.
Es gibt Bücher, die „funktionieren“ nur gedruckt. Bildbände entfalten ihre volle Wirkung am besten, Chroniken haben etwas Erhabeneres, wenn sie auf Papier vorliegen.
Aber der ganze schimmelige Rest, wie Omma zu sagen pflegte, hätte getrost auch digital verwurstet werden können.
Ja, ich weiß. Äppel, Birnen, Digital Natives, diesdasAnanas. Der Mann hat ja zeitlebens gesammelt und vermutlich auch gelesen. Geht ja aber hier auch ums Thema Nachhaltigkeit in allen Facetten. Da wäre ein Reader (oder mehrere) definitiv praktischer gewesen.
Ja, ich weiß, auch Einsen und Nullen kosten Energie und there is no such thing as a cloud, it’s always someone else’s computer.
Eleganter wäre es trotzdem gewesen. Er hätte seine Sammlung mit auf Reisen nehmen oder sogar damit umziehen können. In Teilen verschenken wäre nicht ganz so einfach gewesen, vererben allerdings hätte einen anderen Charme gehabt. Ob ihm die posthume Berichterstattung so recht gewesen wäre? Vielleicht wäre sie ihm egal, vielleicht würde sie ihn belustigen oder aber auch ärgern.
Und wie ich so denke, ja, das mache ich wirklich, kaum zu glauben, und schreibe, fällt mein Blick auf das Werk meiner geschätzten Freundin und Leserin Ronja.
Da ist was Wahres dran.
Ihren Blog kann ich euch nur wärmstens empfehlen. Bei ihr und meinem zweitliebsten Literaturblogger, dem Kaffeehaussitzer, schaue ich überaus gern rein und schätze ihre Meinung. Beide sind ausgesprochene Print-Liebhaber. Die Romantikerin in mir kann es verstehen. Ich geh jetzt trotzdem weiter ausmisten. Auf 50.
Welche das sind, erzähle ich ein anderes Mal.
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Steffi Freyer (Montag, 30 Januar 2023 15:00)
… ich fand es trotzdem irgendwie hübsch, dass Marie Kondō nicht mehr aufräumt. Ich nehme mir seit ewigen Zeiten vor, auszumisten, wir haben hier nämlich eigentlich schon genug Platz, und wir haben auch nicht zu wenig Stauraum, sondern zu viel Zeug. Ich habe heute angefangen, werde an meinem freien Mittwoch weitermachen und am Wochenende vielleicht schon ein Stück weiter gekommen sein. Tatsächlich überlege ich aber auch, ein weiteres Bücherregal anzuschaffen, da fällt mir das Trennen nach wie vor sehr schwer.
GrueneRonja (Samstag, 13 Mai 2023 20:46)
Aaaaw, danke für die Erwähnung <3
Ich sortiere Bücher, die mir nicht so gut gefallen habe, oder die ich nicht nochmal lesen werde, immer direkt aus. Und manchmal lese ich Bücher nochmal, und sortiere sie dann aus, weil ich ihnen entwachsen bin oder sie mir nicht mehr so gut gefallen haben. Oder ich räume mein Bücherregal um und habe Bücher in der Hand, die ich im Nachhinein nur so mittelmäßig fand. Kurzum, es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Umzüge habe ich damit schon einige hinter mir und es war jedes mal irgendwie belastend.
Meine Großeltern, beide Bibliothekare, mein Opa Ortschronist, Germanist, interessiert sich außerdem für Relgion, Garten und Kunst, haben dementsprechend eine überaus große Sammlung. Kriegsgeneration eben. Wie du schon sagtest, die horten alle irgendwas. Es fällt ihnen schwer, sich davon zu trennen und ich bin der Meinung, das müßen sie auch gar nicht (mehr). Sie sind beide über 90, sollen sie ihren Lebensabend doch umgeben von den staubigen Büchern genießen. Ich kümmer mich anschließend um die Bücher. Aber ... darauf habe ich gar keine Lust. Es sind viele, sie sind teilweise veraltet, niemand will die mehr. Daran ist nichts mehr romantisch.
Langes Geschwafel, tut mir leid :) Brauchst du Bücher über Religion? Kunst? Garten? Deutsche Geschichte? Nein?!