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Im Weg sein. Oder: Was Colin Farrell und ich gemeinsam haben

Der Buggy ist breit. Breiter als ein Einkaufswagen. Und sehr lang. Fast zwei Meter. Es muss ja auch ein mittelgroßer Mensch bequem darin Platz haben. Er hat fast den Wendekreis eines SUV. Schließlich ist er auch das SUV unter den Hilfsmitteln. Was unpraktisch klingt, hat einen höchst praktischen Nutzen. Wir können jederzeit damit einkaufen gehen, spazieren oder wandern. Vitamin D tanken ohne auf die Beschaffenheit der Wege achten zu müssen, Vitamin C einkaufen, wenn es gebraucht wird. Unser Alltag ist geprägt von logistischen Herausforderungen, da kann der vergessene, nicht erhältliche oder zu lang aufgeschobene Einkauf schon mal zum Auslöser eines Nervenzusammenbruchs werden. Das klingt übertrieben und wirkt lächerlich. Passiert aber. Dazu muss man nicht generell verweichlicht sein, es ist ein verwundbarer Moment. Das falsche Essen oder die falsche Essenszeit kann in unserem Haushalt eine Kettenreaktion auslösen, die erst Wochen später wieder zur Normalität führt. 

Man kann das alles planen im Alltag, aber manchmal führen äußere Umstände dazu, dass wir [noch mal] raus und einkaufen müssen. Mit dem Rollstuhl sind wir wendig und kompakt unterwegs. Wenn wir können. Auch ein Rollstuhl fällt mal aus oder kann nicht genutzt werden, weil die Voraussetzungen die falschen sind. Wenn Junior zu müde ist, [nicht ansteckend] kränklich oder Schmerzen hat, ich aber ohne ihn nicht aus dem Haus und es nicht warten kann, nehmen wir den Buggy. 

Und sind im Weg. 

Im Weg von anderen Menschen, Einkaufswagen und Paletten. Wir sind uns dessen bewusst und nicht gerade glücklich darüber. Das ist die Sorte Aufmerksamkeit, die man auf keinen Fall will.


(Jeder Quadratmeter Laden kostet Geld, schon klar. 

Mich kostet jeder Einkauf im vollgepackten und eng verwinkelten Geschäft aber auch mehr Nerven als notwendig. Wollte ich mal gesagt haben. Ich komm auch bald auf den Punkt. Versprochen.)


Zurück zum Buggy. Der Buggy ist dasselbe Modell, mit dem Colin Farrell beim Dublin-Marathon auf den letzten 2,5 Meilen seine Freundin Emma geschoben hat, um Spenden für die irische Hilfsorganisation DEBRA zu sammeln. Emma ist an Epidermolysis Bullosa erkrankt, einer sehr schmerzhaften Hautveränderung, die ihr das Laufen zuweilen unmöglich macht. Colin Farrell und ich haben nicht nur einen behinderten Sohn als Gemeinsamkeit (jeder seinen eigenen versteht sich), sondern wir manövrierten also auch beide schon mal den Buggy „Freedom“ beim Joggen. Bei den meisten Marathons sind Buggys und Co. eigentlich nicht erlaubt, weil sie ein Unfallpotential darstellen. Sie sind unübersichtlich. Schwer zu lenken. Sie sind im Weg. 

Aber für einen Filmstar und Celebrity, der für einen guten Zweck läuft, kann man mal eine Ausnahme machen. Das meine ich ganz unironisch. 


Ob er und Emma mit dem Buggy einkaufen gehen, weiß ich nicht. In Irland sind die Geschäfte aber genauso eng und voll wie hier. Da macht auch zu der Berühmtheitsstatus keinen Unterschied. 


Wir, in diesem Sinne Junior, Emma, Colin und ich, sind also immer irgendwie im Weg. Zumindest dann, wenn wir unter Menschen sein wollen oder müssen. (Ich spreche übrigens nicht für ihn, sondern nur über offensichtliche Korrelationen.)


Vielleicht ist das ja gemeint, wenn von Inklusion die Rede ist. Wir stehen mittendrin. Mitten im Weg. Mitten im Laden. Wir haben einen Lauf. Wir sind sichtbar. Freedom. Freiheit. 


Sei doch froh, dass ihr den Buggy habt. 

Sei doch froh, dass ihr rauskönnt. 

Sei doch froh, dass ihr spazieren und wandern könnt. 

Es kann ja nicht das Problem der anderen sein, wenn ihr im Weg seid. 

Es kann nicht immer alles für alle zugänglich sein. 

Es können ja nicht immer alle auf alle anderen Rücksicht nehmen. 


Ich bin froh.

Ich will es gar nicht zum Problem der anderen machen. 

Ich will auch gar nicht überall hin und/oder in Watte gepackt werden. 

Der Weg, in dem wir sind, ist gepflastert mit „Verzeihung“, „Entschuldigung“, „sind gleich weg“ und „danke“. Von uns. 

Und oft genug auch mit „keine Problem“, „gerne“ und „aber sicher doch“ von anderen. Meistens von denen, die sich bewusst sind, dass sie auch mal im Weg sind. 

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